Das archaische Lächeln

Bei vielen Skulpturen der archaischen Zeit sind die Mundwinkel so deutlich nach oben gezogen, dass der Eindruck des Lächelns entsteht. Beispiele wie der sterbende Krieger aus Ägina zeigen, dass dieses ‚archaische Lächeln‘ situationsunabhängig gesehen werden muss. Es ist nicht psychischer Ausdruck einer heiteren Stimmung. Auch die Grabstatuen, die dieses Lächeln zeigen, legen den Schluss nahe, dass vielmehr abstraktere Inhalte ausgedrückt werden sollen. So wurde vorgeschlagen, die Mimik solle die dargestellte Person ganz allgemein als lebendig charakterisieren. Andere deuten sie als Zeichen aristokratischer charis (Anmut, Charme).

Der grundlegende Stilwandel in der Bildkunst des frühen 5. Jhs. v. Chr. geht einher mit einer auffälligen Veränderung des mimischen Ausdrucks der dargestellten Personen. Das bis dahin charakteristische ‚Lächeln‘ verschwindet aus den Gesichtern und weicht einem auffällig ernsten Ausdruck. Das betrifft nicht nur die Stellung der Lippen, sondern auch den Blick: War er in der Archaik ‚freudig‘ geradeaus gewandt, so ist er nun häufig ‚gedankenschwer‘ zum Boden gesenkt.

Grabrelief eines Mädchens, um 460 v. Chr., Antikensammlung Berlin. Nicht nur die Peplostracht, sondern auch der gesenkte Blick und der ernste Gesichtsausdruck sind typische Neuerungen der frühklassischen Zeit.

Man hat diese Unterschiede als Hinweis auf einen grundlegenden Wandel des Lebensgefühls, bedingt durch die schicksalhafte Erfahrung der Perserkriege, gedeutet. Eine andere Erklärung stellt sozialgeschichtliche Veränderungen in den Vordergrund: Das aristokratische Verhaltensideal des anmutigen Lächelns sei im Zuge der Demokratisierung durch eine neue Haltung würdevollen Ernstes abgelöst worden. Doch sind Zweifel an beiden Erklärungen angebracht.

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