Baufieber und Statuenjagd 1

Die Zerstörung der Gärten Roms nach 1870

Nachdem Rom 1870 zur Hauptstadt des neugegründeten Königreichs Italien erhoben worden war, wurde die Stadt von einer Welle der Bauspekulation erfaßt. Die großen Parks, die die führenden Adelsfamilien seit der Renaissance rund um den Stadtkern auf dem Gebiet der antiken horti angelegt hatten, wurden bis auf wenige Ausnahmen an private Bauträgergesellschaften verkauft und zur Bebauung freigegeben.

Nach den städtebaulichen Leitvorstellungen der Zeit überzog man sie mit einem starren Netz rechtwinklig sich kreuzender Straßen und vielstöckiger Häuserblocks. Das historische Wegesystem wurde kaum beachtet, und die beträchtlichen Höhenunterschiede des hügeligen Geländes ebnete man rigoros ein. Talsenken wurden 15–20 Meter hoch aufgefüllt, markante Erhebungen hingegen, darunter viele Reste antiker Monumente, rücksichtslos abgetragen (Abb. 01) .

Der herausragenden archäologischen Bedeutung der betroffenen Gebiete war man sich durchaus bewußt. Schon 1872 wurde eine städtische archäologische Kommission zur Überwachung der Bauarbeiten eingerichtet, die eine eigene, noch heute existierende Zeitschrift zur Publikation der Neufunde (das Bullettino della Commissione archeologica comunale di Roma) herausgab. Die Befugnisse ihrer Mitglieder waren allerdings äußerst begrenzt. So durften sie private Baustellen nicht inspizieren, wenn die jeweiligen Bauherren ihnen den Zutritt verwehrten. Ein großer Teil der freigelegten Ruinen konnte auf diese Weise stillschweigend beseitigt werden. Doch auch das, was der Kommission gemeldet wurde, wurde nur ganz unzureichend dokumentiert. Lediglich ein verschwindend geringer Teil des Entdeckten wurde unter Denkmalschutz gestellt und erhalten.

Vor allem im Ausland rief die Gleichgültigkeit, mit der die italienischen Behörden der Zerstörung der römischen Parklandschaft zusahen und eine unwiederbringliche Gelegenheit zur archäologischen Erforschung Roms verstreichen ließen, Empörung hervor. Berühmte Gelehrte wie Ferdinand Gregorovius und Theodor Mommsen erhoben ihre Stimme. Internationales Aufsehen erregte eine Veröffentlichung des Kunsthistorikers Herman Grimm unter dem Titel Die Vernichtung Roms (1886), die sogleich ins Italienische übersetzt wurde. Vielleicht trugen diese Proteste mit dazu bei, dass die Überbauung weiterer Parks, wie der Villa Borghese im Norden der Stadt, verhindert werden konnte.

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