Einführung: Späte Republik

Die römische Gesellschaft und der römische Staat wurden in der Zeit der Republik von alten Männern beherrscht:  

− In der Familie durfte niemand Entscheidungen gegen den Willen des pater familias treffen. Sklaven, Ehefrau und Kinder unterstanden seinem Urteil. Das galt auch für erwachsene Kinder, bis der älteste Sohn nach dem Tod des Vaters dessen Rolle übernahm. Lange durfte ein pater familias sogar Todesurteile gegen Angehörige verhängen.  

− Im Staat wurden die Gesetze durch den römischen Senat beschlossen. Hier saßen die Vertreter der mächtigsten römischen Familien. Die Alten hatten in dieser Versammlung zuerst das Rederecht. Sie machten die Vorschläge und die Jungen schlossen sich einem ihrer Vorredner an.   In der Antike wurden nur wenige Menschen älter als 35 Jahre. Doch erst danach erreichte man in Rom Reichtum, hohe Ämter und Macht. Alter stand auch für Weisheit und Erfahrung. So kann man von einer „Republik der Greise“ sprechen.  

Es ist darum verständlich, dass in der Zeit der späten Republik (2.−1. Jahrhundert v. Chr.) viele Männer mit ausgeprägten Alterszügen dargestellt wurden. Die Lebenserfahrung, die sich in den Alterszügen von Politikergesichtern ausdrückte, war gewissermaßen Teil ihres politischen Programms. Politiker dieser Zeit waren auch Feldherrn in den Eroberungskriegen, die das römische Reich ständig vergrößerten. Sie ließen sich nicht nur mit Alterszügen darstellen, sondern demonstrierten ihre kriegerische Energie auch durch Bewegung und entschlossenen Gesichtsausdruck. Die Porträtkunst bot eine Auswahl verschiedener Bildformen an. Die Kombination verschiedener Einzelzüge erlaubte Auftraggebern, in ihrer Selbstdarstellung die gewünschten Qualitäten ins Bild zu setzen.  

Die Selbstdarstellung durch Porträts spielte in den inneren Auseinandersetzungen der späten römischen Republik keine unwichtige Rolle. Wer seine Statuen an den zentralen Orten Roms aufstellen lassen konnte, hatte die Macht und die Mittel, sein politisches Programm der Öffentlichkeit vorzuführen. Darum wurden bei einer Änderung der Machtverhältnisse immer wieder Statuen gestürzt und neue ersetzt. Wenn die unterlegene Partei wieder die Oberhand gewann, stellte sie den vorherigen Zustand wieder her. Besonders gründlich wurden offenbar die Bildnisse des Marcus Antonius beseitigt: Von diesem bedeutenden Politiker der späten Republik, der zeitweilig Partner der Königin Kleopatra und wichtigster Gegenspieler Octavians war, konnte bis heute kein Rest einer Porträtstatue nachgewiesen werden.  

Gegen Ende der Republik lösten sich die festgefügten Strukturen des Staates auf. Dies ist auch an den Porträts abzulesen, in denen als neue Qualität jugendlicher Heldenmut gezeigt wird. Erstmals gab es sogar Bildnisse von Frauen mit individuellen Zügen. Sie begnügten sich nicht mehr damit, nur jung und schön auszusehen. Denn jenseits der traditionellen Ämterlaufbahn begannen die Frauen der Machthaber, eine wichtige politische Rolle zu spielen.