Göttergleiche Herrscher: domus divina

Parallel zu den demonstrativ bescheidenen Bildnissen römischer Kaiser und Magistrate in der Öffentlichkeit entstanden Porträts, die ein ganz anderes Verständnis der Rolle des Kaiserhauses offenbaren: Römische Kaiser und ihre Angehörigen konnten schon zu ihren Lebzeiten außerhalb Roms göttliche Ehren erhalten; nach dem Tod wurden sie oft durch Beschluss des römischen Senats als divus oder diva unter die Götter versetzt und erhielten offiziell einen Kult.

Ein Kameo in Wien zeigt die Büste des vergöttlichten Augustus in der Hand seiner Witwe Livia, die zur Priesterin des Augustuskultes ernannt worden war. Ein weit überlebensgroßer Kopf einer Göttin in Rom trägt die Züge der Antonia minor, d.h. der zur Antonia Augusta erhobenen Großmutter des Kaisers Caligula und Mutter des Kaisers Claudius.   Auf dem Kameo trägt Livia auf dem Handteller eine kleine Büste des Augustus. Sein Hinterkopf ist verschleiert, so dass nur auf dem Vorderkopf die Zacken einer Krone erscheinen. Solche Kronen gehörten ursprünglich zu Darstellungen des Sonnengottes; sie stellen die Strahlen der Sonne dar.

Augustus ist durch dieses Attribut also dem Sonnengott gleichgesetzt − gewissermaßen ein „neuer Stern am Himmel“. Die Büste des Augustus im Relief ist ein Bild im Bild: Augustus ist nicht selbst, sondern in Form einer Skulptur dargestellt, die dem Kult des Vergöttlichten dient.  

Doch auch Livia, die auf dem Kameo größer dargestellt ist und mehr Raum einnimmt als die Büste des Augustus, ist mit den Attributen einer Göttin ausgestattet: Sie trägt eine Krone mit Mauerzinnen im Haar; die linke Hand hält einen Strauß aus Ähren und Mohnkolben und stützt sich auf einen Rundschild mit dem Bild eines Löwen. Alle diese Gegenstände gehören zu Darstellungen der Rhea oder Kybele, beides Götterköniginnen, die Schutzgöttinnen von Städten waren und auch für die Fruchtbarkeit der Erde sorgten.  

Große Kameen wie dieser waren sehr kostbar und wurden wahrscheinlich häufig im Auftrag des Kaiserhofes angefertigt. Sie wurden dann meist über viele Jahrhunderte in kaiserlichen und später auch kirchlichen Schatzkammern verwahrt und sind so bis heute erhalten geblieben.  

In der Antike bekamen nur wenige Menschen diese Kameen zu Gesicht, sie waren nicht für eine größere Öffentlichkeit bestimmt, sondern nur für den engeren Umkreis des Kaisers. Schmeichelhafte Vergleiche, die die Angehörigen des Kaiserhauses mit Gottheiten gleichsetzten und damit über menschliches Maß hinaushoben, waren in diesem Medium eher möglich. Denn hier war keine Rücksichtnahme auf eine Öffentlichkeit nötig, die monarchisches Auftreten und göttliche Ehren für den Kaiser und seine Familie ablehnte.

Für die Darstellung verstorbener Mitglieder des Kaiserhauses war eine Darstellung mit Götterattributen in Rom leichter zu akzeptieren als zu ihren Lebzeiten: Augustus und seine Gemahlin Livia wurden ebenso wie Kaiser Claudius offiziell durch Senatsbeschluss unter die Götter erhoben; ihre Angehörigen hatten als Nachkommen von Göttern einen herausgehobenen Status − die Dynastie wurde sogar als domus divina bezeichnet. In den Räumen für den Kult der vergöttlichten Herrscher standen auch Statuen anderer, noch lebender Mitglieder des Kaiserhauses.  

Diesem gesteigerten Selbstbewusstsein des Kaiserhauses entspricht der weit überlebensgroße Kopf der Antonia minor. Schon das Format signalisiert übermenschliche Größe.  

Als im 18. Jahrhundert die Antikenfreunde in Rom auf den Kopf aufmerksam wurden, nannten sie ihn „Juno“, denn er entsprach perfekt der Vorstellung Winckelmanns und seiner Zeitgenossen von dieser Götterkönigin und Gemahlin des Jupiter. Erst ein Jahrhundert später bemerkten Archäologen, dass der Kopf ein Porträt sein muss, weil er sich durch seine Modefrisur von reinen Göttinnendarstellungen unterscheidet: Die langen Haare sind von einem Mittelscheitel aus in Wellen nach hinten frisiert, im Nacken dann zu mehreren Zöpfen geflochten und zu einer Schlaufe zusammengebunden.  

Diese Frisur tragen Porträts der Antonia auf Münzen, wo sie durch die Inschrift als Priesterin des vergöttlichten Augustus bezeichnet wird; sie hatte dieses Amt nach dem Tod der Livia übernommen. Ein Hinweis auf dieses Priesteramt ist der Kopfschmuck des Kopfes in Rom: Antonia trägt eine Binde aus ungesponnener Wolle im Haar, die durch eine Schnur in einzelne Abschnitte geteilt wird, die die Form länglicher Perlen haben. Die Binde liegt vor dem Rand des Diadems, ihre herabhängenden Enden sind in die Locken eingedreht, die auf die Schultern fallen. Das mit Relief verzierte Diadem ist von Göttinnenbildern übernommen; ein ähnliches Diadem trägt auch Livia auf dem Kameo in Wien neben der Zinnenkrone.  

Das Gesicht wirkt wenig individuell und beinahe alterslos; doch hatten die meisten Betrachter den Eindruck, dass es sich um die Darstellung einer reifen, nicht mehr ganz jungen Frau handelt. Die Mimik ist kaum bewegt, was bei diesem kolossalen Kopf den erhabenen Ausdruck verstärkt.  

Das Bildnis mischt Züge eines Porträts mit denen einer Göttin und setzt so die Besonderheit einer historischen Persönlichkeit ins Bild, die, so will das Bildnis glauben machen, den Göttern näher ist als normale Sterbliche.

Im Museum hat ein Einbruch stattgefunden, bei dem einige wertvolle Stücke gestohlen wurden. Darunter befand sich auch der Livia-Kameo. Gib auf dem Polizeipräsidium eine genaue Beschreibung des Halbedelsteins.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
Juno LudovisiAugustus, seine Zeit und Dynastie  
Augustus
Livia
Caligula
Claudius  
Theomorphes
Späte Republik
Julisch-Claudische Dynastie
 Paul Zanker: Augustus und die Macht der Bilder. Beck, München, 1979