Vorbildlich fromme Söhne: Kleobis und Biton

Im Apollon-Heiligtum von Delphi wurden die Statuen des Bruderpaares Kleobis und Biton gefunden. Ihre Namen erfahren wir aus Berichten antiker Besucher des Heiligtums; hinzu kommen Reste der Inschrift auf dem stark zerstörten Sockel.   Berühmt waren die beiden wegen einer frommen Handlung in einem anderen Heiligtum: Ihre Mutter Kydippe war Priesterin der Hera in Argos. Zum Opferfest der Göttin sollte sie in feierlichem Zug auf einem von Rindern gezogenen Wagen fahren; doch die Tiere waren noch bei der Feldarbeit. Darum luden sich die Söhne Kleobis und Biton selbst das Joch auf die Schultern und zogen den Wagen mit der Mutter über einen Weg von 45 Stadien (1 Stadion = 192 m) rechtzeitig ins Heiligtum.

Alle Anwesenden lobten ihre Kraft und gratulierten der Mutter zu diesen Söhnen. Sie betete zur Göttin darum, ihren Söhnen als Lohn für diese Tat das Schönste zu schenken, was Menschen zu erlangen möglich sei. Beide Söhne starben noch in derselben Nacht im Schlaf nach dem Fest im Heiligtum. Die Leute von Argos weihten daraufhin in Delphi Statuen, dem Bruderpaar zu Ehren und zum bleibenden Gedächtnis, wie Herodot (I 31) berichtet.  

Kleobis und Biton sind als schöne junge Männer dargestellt. Sie haben lange Haare, die in sorgfältig arrangierten Locken über die Schultern fallen. Ihre Körper sind nackt, damit Betrachter ihre Kraft und Schönheit bewundern können. Für die Darstellung junger Männer waren solche nackten Figuren, Kuros genannt, in archaischer Zeit üblich. Die beiden Statuen der Brüder sehen einander sehr ähnlich. Der Stil der archaischen Zeit prägt die Darstellung mit seiner Konzentration auf die Eigenschaften des Menschen, die man für wesentlich hielt: Gesundheit, Kraft und Schönheit. Dieses Ideal sah man in aristokratischen Jugendlichen verwirklicht.   Statuen, die als Weihgeschenke für die Götter aufgestellt wurden, sollten würdige Gaben sein. Darstellungswürdig waren aber nur die Merkmale, die den Idealvorstellungen der Zeit entsprachen. Individuelle Züge waren nicht vorgesehen. Bei den Statuen von Kleobis und Biton fehlt deshalb auch jeder Hinweis auf die Handlung, die sie berühmt machte.  

Die Geschichte von Kleobis und Biton klingt märchenhaft; es gibt Zweifel, ob sie historisch glaubwürdig oder eine fromme Erfindung ist. Doch in der Antike wurde die Geschichte geglaubt. Deshalb handelt es sich bei den beiden Statuen um Porträts historischer Persönlichkeiten, gemessen an den Maßstäben ihrer Entstehungszeit.  

Die Statuen der Brüder gehören zu den frühesten großen Skulpturen, die im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. in Delphi geweiht wurden. Sie trugen über Jahrhunderte sichtbar zum Ruhm dieses altehrwürdigen Heiligtums bei. Die Ehrenstatuen führten die Brüder den Besuchern dieses großen Pilgerzentrums als Vorbilder für frommes Verhalten vor Augen. Manche Besucher werden wie Herodot die beiden Brüder auch als Erinnerung daran verstanden haben, dass jung stirbt, wen die Götter lieben − und dass dies eine Gnade ist.

Erinnere dich daran, was du im Text über das Denkmal von Kleobis und Biton gelesen hast. Stelle die wichtigsten Punkte zusammen, wodurch sich die Darstellung der beiden Brüder auszeichnet.  

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 ArchaikHerodot, I 31