Rehabilitation durch die Nachwelt

So wie die Verurteilung der Politik und Person eines Politikers oder Herrschers im Umgang mit deren Porträts einen Ausdruck fand, so konnte ein Porträt auch infolge einer Revision des Urteils über eine historische Persönlichkeit in Auftrag gegeben werden.

Die späte Anerkennung der Politik des Demosthenes

Ein Beispiel dafür ist die in römischen Kopien überlieferte Statue des Demosthenes. Diese Kopien gehen wohl auf eine Statue zurück, die 280 v. Chr. auf der Agora von Athen errichtet wurde, rund 40 Jahre nach dem Tod des Demosthenes.   Die Figur steht ruhig und vermittelt doch eine innere Anspannung. Die Glieder und das schlichte Gewand bilden ein Gefüge klarer Linien, die in der Mitte auf die verschränkten Hände zulaufen (die Hände sind am Göttinger Abguss der Statue nicht erhalten). Dieses Motiv fiel antiken Betrachtern auf, denn es ist für eine Ehrenstatue ungewöhnlich und wurde wohl zur Charakterisierung des Demosthenes erfunden.

Dem stillen Ringen der Hände entspricht die ernste Miene mit nachdenklich, sorgenvoll oder trauernd zusammengezogener Stirn.   Demosthenes war im 4. Jahrhundert v. Chr. in Athen der bekannteste Redner und Politiker, der sich der Expansion des Machtbereichs der makedonischen Könige in Griechenland entgegenstellte; zuerst war sein Gegner Philipp II, dann dessen Sohn, Alexander d. Große.  

Politische Auseinandersetzungen wurden in Athen häufig in Prozessen ausgetragen, in denen der gegnerischen Partei Verrat, Bestechlichkeit und Verstöße gegen die Moral und die Gesetze der Stadt vorgehalten wurden. Demosthenes verfasste also auch Gerichtsreden, die ebenso politisch waren wie Reden vor der Volksversammlung. Sie sicherten ihm öffentlichen Einfluss und wurden zudem als rhetorische Glanzleistungen aufgezeichnet und der Nachwelt überliefert.  

Als Führer der antimakedonischen Partei musste er auf Druck Makedoniens 322 v. Chr. aus Athen fliehen. Es gelang Demosthenes jedoch nicht, sich vor seinen Verfolgern in Sicherheit zu bringen, so dass er sich schließlich gezwungen sah, Selbstmord zu begehen.  

In den Jahrzehnten nach dem Tod des Demosthenes gingen die Auseinandersetzungen zwischen der promakedonischen Partei und der antimakedonischen Partei in Athen weiter. Als die antimakedonische Partei die Oberhand gewann, wurde 280 v. Chr. die Statue des Redners in Athen errichtet. Den Antrag dafür stellte sein Neffe Demochares in der Volksversammlung. Die überlieferte Inschrift für dieses Denkmal ist klar antimakedonisch und verbindet damit das Gedenken an einen der bedeutendsten Redner Athens mit der Tagespolitik:   „Wenn gleiche Macht wie Einsicht, Demosthenes, du besessen hättest, niemals beherrschte die Griechen der makedonische Ares“.  

In späteren Jahrhunderten, als die Statue des Demosthenes häufig kopiert wurde, waren diese Bezüge nicht mehr aktuell. Die Auftraggeber interessierten sich für Demosthenes vor allem als Autor von Reden, die in der Lehre der Rhetorik als vorbildlich galten und entsprechend sorgfältig studiert wurden.  

Um die Statue in Athen rankten sich Anekdoten, wie die Geschichte des Soldaten, der vor einer längeren Abwesenheit von Athen sein Geld in die gefalteten Hände der Statue legte, und es nach seiner Rückkehr dort wieder vorfand – verborgen unter den Blättern einer Platane, die neben der Statue stand. Diese Geschichte sollte zeigen, dass Demosthenes nicht korrumpierbar war. Die Konflikte der Vergangenheit und ihre Akteure wurden so idealisierend verklärt, wofür die postum errichtete Statue des Demosthenes von Beginn an Anknüpfungspunkte lieferte.  

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DemosthenesAlexander d. Gr. und seine Zeit  
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Sühne für Verurteilung und Tod des Sokrates

Der Tod des Sokrates 399 v. Chr. in Athen war für seine Freunde und Schüler ein erschütterndes Ereignis, das in ihren Schriften verarbeitet wurde und so in die Geschichte der Philosophie einging. Sokrates war aufgrund einer Anklage wegen Gottlosigkeit (griechisch: asebeia) und schädlicher Lehren zum Tod verurteilt worden. Er beugte sich diesem Urteil und entschied sich gegen eine Flucht, die Freunde für ihn organisieren wollten. Sokrates trank den Schierlingsbecher aus und starb an diesem Gift. Der Prozess hatte wohl auch politische Hintergründe und richtete sich indirekt gegen den Freundeskreis um Sokrates, zu dem Angehörige einflussreicher Familien Athens gehörten, darunter die Politiker Alkibiades und Kritias.

Ihre Gegner in Athen waren der Meinung, dass diese Leute dem Staat schadeten, und die Philosophie des Sokrates sie darin bestärkte.   Doch war das Todesurteil gegen Sokrates umstritten; nach seinem Tod wuchs die Zahl derer, die die Anklagepunkte als ungerechte Unterstellungen ansahen, die mit der philosophischen Lehre des Sokrates nichts zu tun hatten.   Fehlurteile erregten nach antiker Vorstellung den Zorn der Götter und konnten der schuldigen Stadt Unglück bringen. Ein vollstrecktes Todesurteil war nicht mehr rückgängig zu machen; deshalb musste auf andere Weise versucht werden, solches Unrecht zu sühnen.  

In Athen wählte man die Möglichkeit, zur Sühne eine Statue des Sokrates zu errichten.   Diese Art der Sühne wurde auch in anderen Städten praktiziert: In Sparta ordnete ein Orakel an, den Tod des Königs Pausanias zu sühnen. Er war in einem Heiligtum eingemauert worden und verhungerte. Zum Ausgleich sollten zwei Menschen geopfert werden. Die Spartaner wandelten diese Buße um, indem sie zwei Statuen des Pausanias aufstellten.  

Die Sühnestatue des Sokrates stand im Pompeion, dem Gebäude an der Heiligen Straße von Athen, von dem aus große religiöse Prozessionen starteten. Hier wurde Sokrates symbolisch wieder in die Gemeinschaft der Bürger von Athen aufgenommen. Einer der berühmtesten Künstler des späteren 4. Jahrhunderts v. Chr., der Bildhauer Lysipp, soll die Statue geschaffen haben. Sie muss demnach ein recht anspruchsvolles Denkmal gewesen sein, das auch dem Ansehen Athens dienen sollte. Man bekundete neben Reue auch Stolz auf den berühmten athenischen Philosophen.  

Wahrscheinlich geht eine kleine Figur des Sokrates in London auf den Entwurf der Sühnestatue zurück. Sie zeigt Sokrates mit den für ihn charakteristischen, hässlichen Gesichtszügen. Doch ist er nicht lesend oder disputierend dargestellt, wie es sonst für Philosophenbildnisse üblich war, sondern ruhig stehend und in seinen Mantel gehüllt, wie es dem Bild eines würdigen Bürgers von Athen angemessen war.  

Schau dir die Denkmäler des Philosophen Sokrates und des Politikers Demosthenes an. Überlege, wie die beiden Personen jeweils charakterisiert sind. Beachte dabei, wodurch sich das Denkmal des Sokrates von herkömmlichen Philosophenbildnissen unterscheidet.

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