Totengedenken: Grabdenkmäler

Der Tod kann ein Auslöser für den Wunsch sein, die Erinnerung an einen Menschen nicht nur im Gedächtnis der Hinterbliebenen, sondern auch im Bild festzuhalten. Auch bei Bildnissen am Grab gibt es verschiedene Möglichkeiten, zwischen denen sich Auftraggeber entscheiden konnten.   Zunächst ist zu fragen, ob das Porträt am Grab ein Erinnerungsbild sein soll, das den Verstorbenen wiedergibt „wie er im Leben war“, oder ob das Bild eine erhoffte Existenz nach dem Tod im Jenseits zeigt. Wenn in der Phantasie der Menschen das Leben nach dem Tod als eine bessere Fortsetzung des irdischen Lebens gilt, ist die Unterscheidung schwierig.  

Die meisten Bilder entstanden aber wohl in der Überzeugung, dass das, was im Leben wichtig war, eine dauerhafte Bedeutung hat, die über den Tod eines Menschen gültig bleibt: Die gesellschaftliche Stellung eines Menschen wird im Gedenken seiner Mitmenschen nach seinem Tod erhalten bleiben und er hat wohl auch im Jenseits noch Anspruch darauf.  

Doch welche Eigenschaften eines Menschen waren es wert, im Bild für die Nachwelt festgehalten zu werden?  

Grab einer attischen Dame: Das Grabrelief der Hegeso

Das Relief mit dem eingeritzten Namen der Hegeso zeigt zwei Frauen: Die eine Frau sitzt rechts auf einem Stuhl mit elegant geschwungener Lehne; ihre Füße ruhen auf einem Schemel. Vor ihr steht links eine weitere Frau, die ihr ein Kästchen reicht. Die Figur der sitzenden Frau erreicht beinahe die Höhe der stehenden; sie muss die Hauptperson, die in der Inschrift genannte Hegeso sein.   Hegeso ist mit Untergewand und Mantel bekleidet, die sich weich dem Körper anschmiegen, außerdem bedeckt ein dünner Schleier ihren Hinterkopf und fällt über die Schultern. Diese Tracht kennzeichnet sie als vornehme Dame. Als Herrin des Hauses hat sie das Recht, auf einem Lehnstuhl mit Fußschemel zu sitzen − ähnlich wie ein König in seinem Thronsaal. Das Sitzen im Haus war ein Privileg für ehrbare Frauen, die sich leisten konnten, das Haus nicht zu verlassen. Diese Frauen sollten jeden Auftritt in der Öffentlichkeit vermeiden, um keinen Anlass zu Aufmerksamkeit und Gerede zu bieten.

Hegeso hantiert mit einem Kästchen, das zur Aufbewahrung von Schmuck gedient haben kann. Schmuck soll die Schönheit einer Frau hervorheben und dient deshalb hier als Bildzeichen für Schönheit. Auch sonst hat sich der Bildhauer alle Mühe gegeben, die körperliche Schönheit der Hegeso nicht durch die Kleidung zu verdecken, sondern hervorzuheben.   Die zweite Frau ist schon durch ihr schlichtes Ärmelgewand aus weniger weich fallendem Stoff und die Haube, die ihr Haar ganz bedeckt, als Dienerin zu erkennen. Sie wartet ihrer Herrin auf, wie es einer Dame vom gesellschaftlichen Rang der Hegeso zukommt.  

Die unterschiedliche Größe der beiden Frauen ist als bewusst gestaltete „Bedeutungsgröße“ zu verstehen, die nicht realistisch die wirklichen Größenverhältnisse wiedergeben soll, sondern eine Rangabstufung. So wie im heutigen Sprachgebrauch „Dienstmädchen“ nicht unbedingt eine junge Person meint, so wurden in der Antike Sklaven und Sklavinnen häufig in kleinerem Format gezeigt, um ihre niedrige gesellschaftliche Stellung ins Bild zu setzen.  

Hegeso wird also auf ihrem Grabrelief, das im 5. Jahrhundert v. Chr. im Grabbezirk ihrer Familie neben anderen Denkmälern stand, in den Rollen gezeigt, die ihre Stellung im engeren Familienkreis und in der Gesellschaft Athens ausmachten: als Herrin des Hauses, als schöne Frau, als wohlhabende Dame mit kostbaren Kleidern, Schmuck und aufwendigem Mobiliar sowie einer Dienerin. So erhält sie nach ihrem Tod einen öffentlichen Auftritt im Bild, der ihr im Leben als vornehme Athenerin nicht gegönnt war.

Der Tod im Kindbett: Das Grabrelief der Malthake

Die meisten Grabdenkmäler zeigen die Verstorbenen in einem Bild, wie sie in glücklichen Zeiten ihres Lebens gesehen werden sollten. Krankheit und Tod sind in der Regel kein Thema der Darstellungen. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden nur Grabdenkmäler für Menschen, die einen heldenhaften oder tragischen Tod starben.   Das kleine Grabrelief der Malthake aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. in Piraeus zeigt eine Szene mit zwei Frauen, von denen eine auf einem Bett halb liegt, halb sitzt. Die andere, kleinere Frau steht hinter ihr und stützt sie. Schon an ihrer Größe und Stellung ist diese zweite Frau als Dienerin zu erkennen. Die Frau auf dem Bett ist also die Hauptperson, die in der Inschrift genannte Malthake.

Mit subtilen Mitteln wird angedeutet, dass diese Frau leidet: Schon die Darstellung eines Bettes statt eines Stuhls ist auffällig. Malthake sinkt offenbar entkräftet auf ihr Kissen zurück; der linke Arm hängt schlaff herab, der rechte wird von der Dienerin gestützt. Über dem Bauch staut der Mantel sich in dicken Falten. Damit wird angedeutet, dass es sich um die Darstellung einer schwangeren Frau handelt, die in Geburtswehen liegt.  

Grabdenkmäler im gleichen Bildtypus wie das Relief der Malthake sind gelegentlich mit Inschriften verbunden, die berichten, dass die darunter begrabenen Frauen während der Geburt eines Kindes oder kurz darauf starben. Dieser Tod galt als besonders tragisch und wird in vielen Grabgedichten beklagt. Häufig starb auch das Neugeborene, so dass zwei Tote zu beklagen waren. Überlebte das Kind, gab der Verlust seiner Mutter einen weiteren Grund zur Trauer.  

In der Antike starben viele Frauen während einer Entbindung oder im Kindbett; jede Schwangerschaft war ein lebensbedrohendes Risiko. Die Gefahren des Kindbetts und die Schmerzen der Frauen wurden in der Antike mit den Mühen und Gefahren des Krieges verglichen. So wie Männer im Krieg ihre Leistung in der Verteidigung von Familie und Staat erbrachten, so erfüllten Frauen mit dem Gebären von Kindern ihre Pflicht zum Fortbestand von Familie und Staat. Beides war mit Schmerzen und Gefahr verbunden, beides unumgängliche Pflicht. Euripides lässt die Heroine Medea in einer seiner Tragödien diese weit verbreitete Ansicht aussprechen:  

„Sie sagen wohl, wir lebten sicher vor Gefahr  

Zu Hause, während sie bestehen der Speere Kampf.  

Die Toren: lieber wollte ich dreimal ins Graun  

Der Schlacht mich werfen, als gebären einmal nur.“  

Euripides, Medea V. 248-251 (Übersetzung J.J. Donner / R. Kannicht)  

Ähnlich wie Männern der Nachruhm aus einem heldenhaften Tod in der Schlacht sicher sein konnte, so wurde der Tod der Frauen im Kindbett als heldenhafter Opfertod begriffen und wurde so in Wort und Bild zu einem Thema griechischer Grabdenkmäler. Die Erinnerung an diese Frauen sollte durch die Leistung beherrscht werden, die sie mit dem Leben bezahlen mussten.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
Grabrelief der HegesoEuripides  
Grabstatuen
Grabporträt
  

Der Tod in der Schlacht: Der Grabstein des Marcus Caelius

Häufiger als der Tod einer Frau im Kindbett war der Tod eines Mannes in der Schlacht Thema eines Grabdenkmals. Am Niederrhein bei Xanten wurde der Grabstein eines römischen Offiziers aus dem frühen 1. Jahrhundert n. Chr. gefunden. Die Inschrift berichtet, dass Marcus Caelius während des Feldzugs des Varus fiel; dieser berühmte Feldzug endete 9 n. Chr. mit einer vernichtenden Niederlage des römischen Heeres, die die Pläne für eine Expansion des römischen Reiches nach Germanien beendete.   Caelius ist im vollen Schmuck seiner militärischen Ehrenzeichen dargestellt:

Er trägt einen Brustpanzer, auf dem an einem Riemengeflecht runde Scheiben angebracht sind, die als Auszeichnungen verliehen wurden. Der Kranz aus Eichenlaub auf seinem Kopf ist ebenfalls eine Auszeichnung für besondere Tapferkeit. Der Stab in seiner Hand ist das Rangabzeichen eines Centurio.

Caelius war Berufssoldat, der offenbar in seiner Legion Karriere gemacht hatte und für Erfolge im Krieg ausgezeichnet worden war. Im Bild wird durch die Ehrenzeichen nur an diese Erfolge erinnert; so soll Caelius im Gedächtnis bleiben.  

Rechts und links neben Caelius sind die Porträts seiner Freigelassenen Thiaminus und Privatus als Büsten auf rechteckigen Sockeln angebracht. Es war üblich, Sklaven durch eine Verfügung im Testament freizulassen. Freigelassene waren ihrem Patron zu besonderer Dankbarkeit verpflichtet; wozu auch die Ausrichtung eines angemessenen Begräbnisses und Errichtung eines Grabsteins gehörte. Die beiden Freigelassenen des Caelius nutzten die Gelegenheit, ihre eigenen Bildnisse als Stifter des Denkmals ins Relief aufnehmen zu lassen.  

Der Grabstein des Caelius ist also ein Denkmal, das die Erinnerung an einen mehrfach ausgezeichneten Offizier wachhalten soll, dessen Tod in der Schlacht inschriftlich erwähnt, aber nicht als Niederlage sondern als Heldentod begriffen wird. Der soziale Status des Caelius drückt sich auch im Besitz von Sklaven aus, die als Freigelassene für sein Angedenken sorgen. Zugleich setzen sich Thiaminus und Privatus ein Denkmal mit einem stolzen Hinweis auf die Erfüllung ihrer Pflicht.   Der Grabstein des Caelius zeigt, dass in der Antike Grabdenkmäler grundsätzlich private Stiftungen sind, für deren Errichtung man zu Lebzeiten sorgen musste, oder die von Hinterbliebenen in Auftrag gegeben wurden. Dies unterscheidet sie von Ehrenstatuen und anderen Denkmälern im öffentlichen Raum.  

Stolz auf das Erreichte: Grabdenkmäler von Freigelassenen

In den Städten der Antike war die Mehrzahl der Menschen weit davon entfernt, öffentliche Ehrungen zu erhalten. Dies gilt nicht nur für Arme, sondern für alle Einwohner ohne Bürgerrechte. In der frühen Kaiserzeit gehört dazu die große Gruppe von römischen Freigelassenen, die teilweise zu großem Reichtum gekommen waren, aber dennoch als ehemalige Sklaven nicht weiter gesellschaftlich aufsteigen konnten und so auch von Ämtern ausgeschlossen waren, die zu öffentlichen Ehren führten. Diese Leute waren in ihrer Selbstdarstellung auf ihre Häuser und vor allem ihre Gräber beschränkt, zu deren Ausstattung auch Porträts gehörten.   Zwei Grabsteine mit Büsten und Inschriften zeigen Ehepaare aus der Zeit des Augustus. Ein Relief, das heute in Berlin aufbewahrt wird, zeigt zwei Freigelassene der Familie der Aiedii. Der Mann, Aiedius Amphio, ist mit Alterszügen dargestellt, wohl als Hinweis auf die Erfahrungen, die in einem Leben harter Arbeit erworben wurden. Die Frau, Aiedia Fausta Mellor, trägt eine modische Frisur; sie scheint sehr viel jünger zu sein als der Mann. Es ist jedoch auch möglich, dass sie nicht viel jünger als ihr Mann war, sondern mit jugendlichen Zügen nur als schöne Frau charakterisiert werden sollte, zu deren Darstellungen Alterszüge nicht passen. Es gibt Beispiele für antike Darstellungen von Großmüttern mit den Gesichtszügen junger Frauen.

Nimm an, du willst in der Antike ein Grabdenkmal für einen Verstorbenen in Auftrag geben. Begründe schriftlich, welche Eigenschaft dieser Person es wert ist, für die Nachwelt im Bild festgehalten zu werden.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Augustus  
Grabstatuen
Grabporträt