Hesiod

Dichter wurden in der Regel als gepflegte und vornehme Männer dargestellt. Wie passt dazu das Porträt Hesiods, das mit wirrer Haartracht und leidenschaftlichem Gesichtsausdruck eher an antike Darstellungen von armen Hirten oder Fischern erinnert?

Zur Person  

Hesiod lebte wahrscheinlich im späten 8. Jahrhundert v. Chr. in Askra am Berg Helikon in Böotien, wohin er in seiner Jugend mit Vater und Bruder aus Kyme in Kleinasien eingewandert war. In einem Rechtsstreit um das Erbe des Vaters unterlag Hesiod seinem Bruder Perses, weil dieser die Richter bestochen hatte. Diese Angaben über sein Leben gibt Hesiod selbst in seinem Hauptwerk, „Werke und Tage“. In diesem Lehrgedicht geht es um die richtige Lebensführung; besondere Aufmerksamkeit gilt den religiösen Pflichten und Arbeiten, die im Lauf des Jahres in der Landwirtschaft anfallen. Ein weiteres Hauptwerk ist die „Theogonie“, in der die Schöpfungsgeschichte und der Ursprung der griechischen Götter behandelt werden. Dieses Gedicht wird von weiteren ergänzt, in denen griechische Heroen und Heroinen in Katalogen zusammengestellt sind.

Zum Bild des Hesiod in der antiken Literatur  

In der Zeit, in der Hesiod lebte, gab es noch keine Porträts; darum sind alle Bildnisse des Dichters, die in späteren Zeiten entstanden, Phantasiebilder nach der Vorstellung, die Künstler von der Persönlichkeit des Dichters aus seinen Schriften gewannen.   Hesiod galt neben Homer als einer der Begründer der griechischen Literatur. Darum war auch die früheste überlieferte Statue aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. in Olympia neben einer Statue Homers aufgestellt; beide waren Teil eines Weihgeschenkes des Mikythos. Weitere Statuen an verschiedenen Orten der antiken Welt entstanden in späteren Jahrhunderten; noch in byzantinischer Zeit beschreibt Christodoros eine Statue des Dichters in Konstantinopel.

Beobachtungen zum Portrait

Bisher ist außer einem Mosaikbildnis in Trier noch kein inschriftlich benanntes Porträt Hesiods bekannt. Nach den historischen Zeugnissen muss es aber viele solcher Porträtstatuen oder -büsten gegeben haben. Deshalb wurde vorgeschlagen, ein in mindestens 38 Kopien überliefertes Porträt als Hesiod zu identifizieren; denn es passt gut zum Bild des Dichters, das aus seinen Werken spricht.

Die beste Kopie des Porträts ist eine Büste aus Bronze in Neapel. Sie stammt aus einer römischen Villa bei Herculaneum, die 79 n. Chr. beim Vesuvausbruch verschüttet wurde.  

Das Bildnis stellt einen alten Mann dar, mit deutlichen Altersfalten im Gesicht und vor allem am Hals. Trotz der Alterszüge wirkt das Bildnis nicht energielos oder müde, im Gegenteil: Der Kopf ist energisch nach vorne gereckt und zur rechten Schulter gedreht, der Mund wie sprechend geöffnet, der Blick konzentriert.  

Die ausdrucksstarke Mimik wird durch Haar- und Barttracht noch unterstrichen. Die Haare fallen in ungleich langen Strähnen durcheinander; im Nacken sträuben sie sich; über der Stirn bilden sie in der Mitte ein wirres Büschel, neben dem der Haaransatz an den Schläfen zurückweicht. Der Bart besteht ebenfalls aus durcheinandergewirbelten, unterschiedlich langen Strähnen, von kahlen Stellen unterbrochen.  

Die leidenschaftliche Mimik ebenso wie die wilde Haartracht entsprechen gar nicht dem üblichen Bild eines vornehmen und gepflegten Mannes, das sonst von berühmten Dichtern überliefert wird. Das Bildnis ähnelt eher Bildern von gesellschaftlichen Außenseitern, wie es in antiken Figuren von armen Hirten oder Fischern gestaltet wurde.

Der Kopf eines Fischers aus Aphrodisias hat ähnlich struppige Haare und einen Bart, der in einzelnen Büscheln sprießt. So ein unregelmäßiger Haarwuchs galt als hässlich; er erinnerte an Ziegenköpfe. Hirten und Fischer wurden gern mit diesen als dumm, schmutzig und geil geltenden Tieren verglichen und so verspottet. Ein Porträt, das einerseits einige Merkmale dieser Bilder von Habenichtsen aufnimmt, aber andererseits den Dargestellten mit den positiven Zügen eines inspirierten Dichters ausstattet, muss wohl einen Dichter meinen, der in seinem Werk das Landleben behandelte. Darum ist der Vorschlag, in diesem Porträttypus das Bildnis des Autors der „Werke und Tage“ zu erkennen, recht plausibel. Im Gegensatz zu Homer, der kriegerische Taten rühmte, war Hesiod in der Antike vor allem als der Dichter bekannt, der die Werke des Friedens besang.

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 Weise und Lehrer  
Homer  
Fiktive Porträts Redner & Dichter
Pausanias V, 26, 2 Pausanias IX, 30, 3 Anthologia Graeca II 38ff.Gisela M. A. Richter: The Portraits Of The Greeks. Abridged Edition. Phaidon Press Limited, Oxford, 1984, S. 135 Der neue Pauly: Enzyklopädie der Antike, Band 5, Metzler, Stuttgart, 1998