Kopiertechnik

Die meisten erhaltenen antiken Porträts sind Kopien nach älteren oder zeitgenössischen Vorlagen. Griechische Porträts wurden erst in römischer Zeit in Kopien verbreitet. Die erhaltenen römischen Kaiserporträts sind hingegen Vervielfältigungen offizieller Entwürfe, die nicht wesentlich später als das Urbild angefertigt worden sind.  

Bei Bronzeporträts gab es grundsätzlich die Möglichkeit, das Original abzuformen und durch Ausgießen dieser Form einen sehr getreue Kopie zu erhalten. Bei Marmorkopien gibt es kein solches mechanisches Verfahren, das Originaltreue garantiert. Doch sind Bronzeskulpturen weder als Originale noch als Kopien zahlreich überliefert, so dass diese Möglichkeit bei der Beschäftigung mit antiken Porträts praktisch keine Rolle spielt. In großen Mengen sind hingegen Marmorkopien von Porträts erhalten. Bei diesen einzeln von Hand angefertigten Skulpturen ergeben sich bei jedem Stück Veränderungen gegenüber dem Vorbild. Diese Veränderungen sind teilweise durch das Kopierverfahren bedingt, teilweise vom Zeitgeschmack des Kopisten beeinflusst.  

Darum ist es wichtig, sich über die technischen Möglichkeiten von Kopierverfahren klar zu werden. In der Göttinger Sammlung ist es nicht möglich, den ganzen Kopierprozess an Porträts zu studieren. Doch da auch andere Skulpturen kopiert wurden, können einige der wichtigen Merkmale genauso gut an Werken der Idealplastik gezeigt werden.  

Für die Herstellung einer genauen Kopie gibt es mechanische Hilfsmittel, mit denen zahlreiche Einzelmaße eines dreidimensionalen Vorbildes auf eine Kopie übertragen werden können. Allerdings gibt es keine antiken Nachrichten oder Werkzeugfunde, die als Quellen aus erster Hand Auskunft über die verwendeten Techniken geben könnten. So müssen wir uns mit den Informationen begnügen, die den antiken Skulpturen selbst abzulesen sind, und sie in Analogie zu bekannten Techniken neuerer Bildhauer interpretieren.  

Kopierkäfig oder Quadratrahmen

Um eine maßgleiche Kopie mithilfe eines Kopierkäfigs zu fertigen, müssen zunächst ein Marmorblock passender Größe und die plastische Vorlage nebeneinander in gleich große Kästen gestellt werden. Diese Kästen liefern ein dreidimensionales Koordinatensystem, in dem man die Lage jedes einzelnen Punktes im Raum orten kann: Die Seiten der Oberkante des Kastens sind jeweils mit einer horizontalen Messskala versehen. An dieser Skala wird eine Latte mit einer vertikalen Messskala entlanggeführt.

Mit diesen beiden Achsen sind alle Punkte auf der jeweiligen Seitenfläche genau zu bestimmen. Um nun zu ermitteln, wie weit in die Tiefe der Stein abgearbeitet werden muss, misst man von der vertikalen Latte ausgehend mit einer „Reiternadel“ am Vorbild die Distanz zwischen einem festgelegten Punkt und der Oberfläche der Skulptur. Am Kasten für die Kopie stellt man dann dieselben horizontalen und vertikalen Maße ein. Dann kann man mit dem Abarbeiten des Steines beginnen und mit der Reiternadel immer wieder kontrollieren, wieviel Stein noch weggenommen werden muss, um denselben Punkt wie am Vorbild in der Tiefe des Blockes zu erreichen. In einem ersten Arbeitsgang wird man kurz vor Erreichen dieses Punktes auf der Oberfläche der Skulptur Halt machen; bei ausreichendem Abstand zur angestrebten Oberfläche ist die Gefahr gering, versehentlich zuviel Material wegzuschlagen. Eine genaue Übereinstimmung der Positionen der Reiternadel am Vorbild und an der Kopie wird erst bei der letzten Feinarbeit an der Oberfläche der Skulptur erreicht.

Man kann auch mit Senkloten arbeiten, die an einem Quadratrahmen über dem Block aufgehängt werden, um die Außenlinien des Quaders darzustellen. Wichtig ist aber auch hierbei, dass Rahmen, Lot und Reiternadel jeweils im rechten Winkel zueinander geführt werden, um genaue Messergebnisse zu erzielen. Bei einem zylindrischen Werkstück können runde statt eckiger Kästen oder Rahmen verwendet werden.

Eine Kopie wird umso genauer, je mehr Punkte durch Messen ermittelt werden; dazwischen muss aus freier Hand gearbeitet werden. Doch mit der Zahl der Messungen steigt auch der Zeitaufwand für die Herstellung einer Skulptur. Auf der Oberfläche einer Aphroditestatuette in der Göttinger Sammlung wurden die Punkte aufgebracht, die für eine genaue Kopie nötig wären. In der Antike begnügte man sich anscheinend mit einem weniger feinen Netz als in modernen Werkstätten üblich; viel blieb dem Geschick des einzelnen Bildhauers überlassen. Mit diesem handwerklichen Verfahren werden besonders gut miteinander übereinstimmende Ergebnisse erzielt, wenn es um lineare und abzählbare Formen geht, wie man sie vor allem in den Haaren findet. Weniger genau werden die gewölbten Formen der Gesichter reproduziert, wo schon geringe Änderungen des plastischen Volumens den Ausdruck erheblich verändern können.

Zirkelkopieren

Im Zirkelverfahren wird mit einer anderen Art von Messpunkten gearbeitet. Diese Punkte werden an der Vorlage markiert, am besten, indem aus einer formbaren Masse kleine Buckel, jeweils mit einer runden Vertiefung, aufgesetzt werden. In diese Vertiefungen greifen die Spitzen des Messzirkels ein. Diese Messpunkte sind die Ausgangspunkte für Einzelmessungen. Die erhöhte Lage der Messpunkte ist sinnvoll, denn auch bei diesem

Verfahren wird die angestrebte Oberfläche nicht im ersten Arbeitsgang erreicht, sondern die Skulptur zunächst in Bosse, also mit einer Schutzschicht ausgearbeitet. Mit drei geschickt gesetzten Messpunkten lassen sich die räumlichen Verhältnisse z.B. der Vorderseite eines Kopfes gut eingrenzen. Diesem Prinzip liegt die Tatsache zugrunde, dass sich die Lage eines bestimmten Punktes im Raum durch den Schnittpunkt von wenigstens drei Kreisen eindeutig definieren lässt. An der entstehenden Kopie werden drei Messpunkte in derselben Konstellation festgelegt.

In den folgenden Arbeitsschritten kann nun die Position einzelner Punkte in Relation zu diesen drei Ausgangspunkten mit einem Zirkel an der Vorlage abgegriffen und auf das Werkstück übertragen werden. Zur ständigen Kontrolle müssen diese Messpunkte bis zum Ende des Arbeitsprozesses stehenbleiben. Erst wenn die endgültige Oberfläche erreicht ist, können sie abgearbeitet werden.

Manchmal verzichtete man auf diesen letzten Arbeitsschritt. Darum sind Messpunkte an vielen antiken Werken erhalten, auch an Porträts. Am Kopf eines Diskuswerfers in der Göttinger Sammlung sind noch die beiden Messpunkte im Haar erhalten. Es sind auch Beispiele bekannt, wo Messpunkte im Gesicht stehenblieben. Ein Beispiel ist das Porträt des Septimius Severus in München, bei dem ein Messpunkt auf dem Kinn stehenblieb. Drei Messpunkte im Gesicht hat der Kopf des Marc Aurel in Frankfurt, an dem das Messverfahren mit einem modernen Kopiergerät nachgestellt wurde. Vielleicht sollte durch diese künstlichen „Warzen“ auf die Sorgfalt der Arbeit hingewiesen werden.

Gipsabgüsse und Kopien

Die meisten Originale standen den Bildhauerwerkstätten nicht direkt für Kopien zur Verfügung. Darum dienten Abgüsse aus Gips Bildhauern als Vorlagen für Kopien. In Baiae bei Neapel wurden die Reste solcher Gipsabgüsse aus einer Bildhauerwerkstatt gefunden, darunter ein Kopffragment des Aristogeiton aus der Gruppe der Tyrannenmörder, einer bronzenen Skulpturengruppe aus dem frühen 5. Jahrhundert v.Chr. von der Agora in Athen.   Die technischen Probleme beim Abformen und Kopieren einer Bronzefigur werden an diesem Fragment deutlich: Bei der Arbeit in Bronze gibt es eine Reihe der statischen Probleme nicht, die bei Marmorskulpturen die Gestaltungsfreiheit einengen.

Durchbrochen gearbeitete Details z.B. in den Haaren oder sich plastisch abhebende Wimpern sind an Marmorköpfen nicht zu realisieren. Das bronzene Original hatte jedoch solche Wimpern, die wohl aus einem dünnen Blech fransig ausgeschnitten waren. Sie waren so empfindlich, dass sie vor dem Abformen mit Wachs abgedeckt werden mussten, das jetzt einen hohen Steg auf den Lidrändern bildet. Hätte man die Wimpern ungeschützt gelassen, wären sie wohl in der Masse hängengeblieben, Bronzeskulptur und Gipsform wären gleichermaßen beschädigt bzw. unbrauchbar geworden.

Der Vergleich des Abgusses des frühklassischen Bronzeoriginals mit einer Marmorkopie aus der römischen Kaiserzeit in Madrid zeigt, wie ein Kopist die Vorgaben seines Vorbildes abwandeln konnte. Zunächst ist zu konstatieren, dass allzu fragile Details wie die Wimpern nicht in Marmor übertragen werden konnten. Sie fielen als plastische Form ganz weg − sollten sie durch Bemalung angedeutet gewesen sein, wäre dies eine noch weitergehende Veränderung gegenüber dem Original.   Wichtiger als diese technisch bedingten Veränderungen ist aber, dass der Bildhauer den Kopf in Madrid „klassischer“ stilisierte als das vergleichsweise altertümliche Original. Das Kopierverfahren war demnach kein rein mechanischer Prozess, sondern schloss Möglichkeiten künstlerischer Gestaltung ein, wie in den hier vorangehenden Abschnitten gezeigt wird.

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GipsvideoVorbild & Kopie: griechisch
Vorbild & Kopie: römisch
5. Jahrhundert v. Chr.