Büstentypen

Das Porträt als Büste gilt als eine typisch römische Bildnisform. Dieser Eindruck ist zwar nicht ganz zutreffend, weil schon in späthellenistisch/republikanischer Zeit mit solchen abgekürzten Formen der in griechischer Zeit üblichen Porträtstatuen experimentiert wurde. Doch erst aus der römischen Kaiserzeit sind Porträtbüsten in großer Zahl erhalten. Porträts, die mit Büsten verbunden sind, haben sich wegen ihres kompakteren Formats häufiger erhalten als Porträts auf Statuen, bei denen die Bruchgefahr viel größer war.

Der Brustausschnitt einer Büste konnte ebenso wie ein Statuenkörper die Dargestellten durch Kleidung und Attribute näher charakterisieren. Die ikonographischen Möglichkeiten bewegen sich bei Büsten im gleichen Spektrum wie bei Statuen. Der Umfang von Büsten wurde im Laufe der Kaiserzeit immer größer, und neue Modelle kamen hinzu, so dass die Gestaltung einer Büste wichtige Hinweise für die Datierung des zugehörigen Porträts liefern kann.

Kleine Büstenformen der frühen Kaiserzeit

In der frühen Kaiserzeit haben Büsten einen knappen Brustausschnitt. Eine Gruppe von Büstenporträts aus Ägypten zeigt Augustus, seine Frau Livia und den Thronfolger Tiberius, eine Konstellation, die zwischen 4 und 14 n.Chr. bestand und so einen Anhaltspunkt für die Datierung bietet.

Der Brustausschnitt umfasst die Schlüsselbeine und den Ansatz der Armkugeln und beschreibt unten einen sinusförmigen Bogen. Der Umriss der Büsten von Augustus und Tiberius unterscheidet sich dadurch, dass der Brustausschnitt beim Tiberiusporträt weiter herabreicht. Doch ist zu berücksichtigen, dass die Büste des Augustus in Zweitverwendung aus einem Säulenschaft gearbeitet wurde. Die Büsten der beiden Männer sind unbekleidet; das entspricht nackten oder nur mit einem Hüftmantel bekleideten Statuenkörpern.

Die beschädigte Büste der Livia ist nicht breiter als die beiden anderen der Gruppe, wie der erhaltene Rand auf ihrer linken Seite zeigt. Die Büste ist mit Kleidung drapiert. Über dem Untergewand liegt der Träger einer Stola. Dieses lange, weite und dünne Trägergewand wurde zwischen Tunica und Mantel getragen. Sie war das Kennzeichen der freigeborenen verheirateten Römerin. In augusteischer Zeit wurde der Versuch unternommen, die Stola parallel zur Toga der Männer als kennzeichnendes Gewand in den Darstellungen römischer Matronen zu propagieren. Offenbar war der Widerwillen römischer Damen gegen diese Tracht noch größer als die Abneigung der Männer gegen die Toga, so dass selbst die Darstellungen der Stola nach dem Ende der julisch-claudischen Zeit verschwinden. Wie im Kapitel zu den Statuen ausgeführt, waren die Körper römischer Frauenporträts ohnehin selten zeitgenössisch bekleidet.

Das Büstenpaar von Livia und Tiberius wurde zusammen in einem Hanghaus in Ephesos gefunden. Die Büste der Livia ist nur ein eng um den Hals geführtes Oval, auf dessen linker Seite aber, als Andeutung des bekleideten Körpers, noch ein Streifen Gewand liegt. Die Büste des Tiberius hat einen etwas größeren Ausschnitt.

Sie ist mit Brustpanzer und Mantel bekleidet. Der Panzer ist ebenso wie bei Panzerstatuen verziert, mit einem Gorgoneion und einer ornamentierten Schulterlasche. Der Mantel gehört auch zur Militärtracht.

Die Porträtbüste eines Privatmannes ist schon in trajanischer Zeit entstanden. Der in dieser Zeit schon etwas altmodisch knappe Büstenausschnitt ist mit Tunica und Toga bedeckt. Dass es sich um eine Toga handelt, ist an der asymmetrischen Führung des Obergewandes zu erkennen. Auf der linken Seite sind die Falten senkrecht herabgeführt, rechts ziehen sie auf der Schulter nach außen. Togastatuen zeigen die gleiche Drapierung.  

Große Büstenformen der mittleren Kaiserzeit

Bildnisse Trajans zeigen die größere Büstenform, die im 2. Jahrhundert n.Chr. üblich wurde. Unten umfasst der Ausschnitt der Bildnisse im Vatikan und in Paris den Brustmuskel, seitlich die Ansätze der Oberarme. Die Büste Trajans in München ist etwas schmaler und flacher gestaltet. Das Exemplar in Paris gibt eine kräftige Männerbrust wieder, die in einem gewissen Kontrast zum faltigen Hals und ältlichen Gesicht Trajans steht. Ebenso wie Statuen sind Büsten unabhängig von den Porträts konzipiert worden und unabhängig von diesen zu lesen. Die nackte Büste entspricht in ihrer Aussage nackten Statuen.

Kräftige Körper waren mit der Vorstellung von Kraft und militärischer Leistungsfähigkeit verbunden. Dieser Aspekt wird an der Büste im Vatikan durch das Schwertband betont, das schräg über der Brust liegt. Ebenso wie der auf die Schulter drapierte Mantel gehört es zur Militärtracht, so dass hier Elemente heroischer Stilisierung und militärische Abzeichen miteinander verbunden sind.

An der Büste Trajans in München ist die nackte Büste mit einem Schwertband und einer Ägis verbunden. Dieser geschuppte Umhang mit Gorgoneion und Schlangen an den Rändern wird ursprünglich von den Gottheiten Athene und Zeus getragen. Durch diese Ausstattung erinnert die nackte Oberkörperbüste an Jupiter. Trajan, der als optimus princeps gerühmt wurde, erscheint in Gestalt des Jupiter Optimus Maximus. Jupiterangleichung von Kaisern wird bei Statuen und Kameen häufig durch den Adler als attributives Tier angedeutet; dazu gehört ein Hüftmantel, der den Oberkörper freilässt, also dem nackten Büstenausschnitt entspricht.

Panzerbüsten als Ausdruck militärischer Funktionen wurden im 2. Jahrhundert n.Chr. der zeitgemäß großen Form mit Oberarmansätzen angepasst. Sie umfassen nun auch die Lederlaschen an den Schultern und lassen die Tunica an Hals- und Armausschnitten sichtbar. Wie normiert solche Büsten waren, zeigt die Gegenüberstellung einer Porträtbüste des Hadrian aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts mit einer Porträtbüste des Septimius Severus vom Ende des Jahrhunderts.

Ebenfalls militärische Konnotationen haben Büsten, die den Mantel nicht als Bausch auf einer Schulter tragen, sondern um den Oberkörper geschlungen und mit einer Fibel auf der rechten Schulter zusammengehalten. An den Porträtbüsten des Antoninus Pius und des jugendlichen Commodus ist darunter die Tunica auf dem rechten Oberarm zu sehen. Tunica und Mantel (Chlamys oder Paludamentum) werden auf Feldzügen außerhalb von Kampfhandlungen und auf der Jagd getragen, u.a. auch von den Kaisern als Feldherren auf der Trajans- und der Marcussäule.

Für Frauenporträts werden im 2. Jahrhundert n.Chr. Büsten in Tunica und Mantel eingeführt, die ebenso groß sind wie gleichzeitige Männerbüsten. Allerdings haben sie einen geschlosseneren Umriss. Unter dem eng um den Körper gewickelten Mantel heben sich die Arme nicht ab. Der obere Mantelabschluss ist zu einem Wulst eingerollt, rings um das Dekolleté drapiert und biegt als Bahn nach unten ab. Die Führung der Falten nimmt offenbar auf die Form der Büste Rücksicht. Diese bildet eine in sich geschlossene Komposition, zu der keine Fortsetzung als Statuenkörper denkbar ist. Anders als bei männlichen Büsten der Zeit gibt es für diese Büsten auch keine typologisch entsprechenden Statuen. Es muss sich deshalb um unabhängige Entwürfe handeln.

Neuerungen des 3. Jahrhunderts n.Chr.

Gelegentlich lassen sich Neuschöpfungen von Büstentypen konkret mit einem Auftrag und einer Bildniskonzeption verbinden. Ein Beispiel ist die Panzerbüste, die mehrfach mit dem Alleinherrschertypus des Caracalla verbunden ist. Die bemerkenswert kurze Büste mit dem nach links gezerrten Mantel kontrastiert wirkungsvoll mit dem abrupt zur rechten Seite gedrehten Kopf und der finsteren Miene des Caracalla. Es ist anzunehmen, dass diese neuartige Büste eigens zur Steigerung der Wirkung dieses Porträttypus entworfen wurde. Der Büstentypus wird auf Elagabal übertragen, als bewusste Maßnahme in der Zeit, in der er als natürlicher Sohn des Caracalla etabliert werden sollte.

Die veränderte Mode der Togadrapierung im 3. Jahrhundert n.Chr. ist in der Göttinger Sammlung nur an Togabüsten zu sehen. Die sog. kontabulierte Toga wird über der Brust nicht mehr lose hängend drapiert, sondern durch mehrfaches Falten zu einem geraden Streifen zusammengelegt, der mit Klammern zusammengehalten werden musste und sich in hohem Relief abhebt. Der Vorgang der Drapierung wird hier im Zusammenhang mit Togastatuen gezeigt.

Die Tendenz zur Vergrößerung des Büstenausschnittes geht im 3. Jahrhundert n.Chr. noch weiter. An den beiden Togabüsten hat der untere Abschluss nicht mehr die Form eines Kreisbogens, sondern die Büste verbreitert sich nach unten merklich. In der Gegenüberstellung mit diesen Porträts, die sich in eine langfristige Entwicklung einreihen, fällt die Sonderstellung der knappen Panzerbüste des Caracalla umso mehr auf.

Dieselbe Entwicklung wie bei den Togabüsten lässt sich an Frauenbüsten beobachten. Der Vergleich einer schon betrachteten Büste antoninischer Zeit mit einer Büste severischer Zeit zeigt, dass die jüngere Büste sich grundsätzlich dem gleichen Modell anschließt, aber nach unten und den Seiten viel weiter auslädt. Die Büste der Sammlung Wallmoden trägt einen Einsatzkopf, der zwar nicht sicher zugehört, aber aus derselben Zeit stammt wie die Büste.

Büsten & Einsatzköpfe

Späte Büsten, wie die der Dame in der Sammlung Wallmoden, sind so groß, dass sie selbst für die Aufnahme eines separat gearbeiteten Einsatzkopfes bestimmt sein konnten. Bei den knappen Büsten der frühen Kaiserzeit war dieses Verfahren eigentlich nicht praktikabel. Sie Doch die Büste der Livia aus Ephesos sollte war dafür bestimmt, in einen größeren Brustausschnitt eingesetzt zu werden.

Einsatzköpfe laufen unten stets in einen kegelförmigen Zapfen aus, der in eine entsprechende Höhlung im Rumpf eingepasst wurde. Ein solcher Zapfen ist am Porträt der Livia in Bochum gut zu erkennen. Er ist nicht geglättet, sondern rau belassen, so dass eine Klebeverbindung besser haften konnte.

Büsten sind hingegen immer auch auf der Rückseite bearbeitet. Je nach Qualität der Arbeit ist der Körperausschnitt als mehr oder weniger dünnwandige Schale gearbeitet. Am unteren Rand der Büste kann vor der Stütze ein Blätterkelch angebracht sein oder auch eine Indextafel, wie bei der gezeigten antoninischen Büste. Das Gewicht des Kopfes wird von einer Stütze im Zentrum aufgefangen. Ebenso wie die Büstenformen ändert sich über die Jahre auch die Form der Stützen.

Über die Details der Formentwicklung von Büsten ist noch wenig bekannt, weil Büsten und besonders Rückseiten erst seit kurzer Zeit von der archäologischen Forschung beachtet werden. Dabei zeigte sich bald, dass Restaurateure und Fälscher in Rom schon im 18. Jahrhundert bessere Kenntnisse in diesen Dingen besaßen als heutige Archäologen, so dass ihre Arbeiten oft kaum von denen ihrer antiken Vorgänger zu unterscheiden sind.

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