Mehrere Porträttypen eines Kaisers

Im Laufe der Regierungszeit römischer Kaiser konnten mehrfach neue Porträttypen geschaffen werden. Wenn mit dem neuen Bildnis auf Veränderungen reagiert oder programmatisch eine neue Richtung eingeschlagen wurde, werden sie zu Zeugnissen des sich wandelnden Selbstverständnisses der Herrscher. Münzen sind häufig durch die Angabe des Regierungsjahres datiert, denn die Zahl der jährlichen Erneuerungen der tribunicia potestas (Kürzel: TRP) wurde auf ihnen verzeichnet. Diese alte republikanische Amtsgewalt war eine der legalen Grundlagen römischer Kaiserherrschaft. Sobald ein neuer Porträttypus eines Kaisers ausgegeben wird, wird er in der Regel bald darauf als Münzbild verwendet. Das erste Erscheinen eines Porträttypus auf Münzen liefert also einen terminus ante quem für seine Entstehung.

Identifizieren und Datieren von Typen

Dies kann an den Porträttypen Neros gut demonstriert werden. Der erste nachweisbare Typus Neros gibt ihn als Kind mit glattem, mittelgescheiteltem Haar wieder, hier vertreten durch ein Porträt im Louvre. Münzen mit seinem Bildnis in diesem Typus, auf denen Nero durch den Titel ‚Caesar‘ als Thronfolger bezeichnet ist, gehören deshalb in die Zeit zwischen 50 und 54 n.Chr. Der Porträttypus muss in den Jahren nach der Adoption Neros durch Claudius entstanden sein, als er dessen designierter Nachfolger war. Er muss anlässlich der Adoption Neros oder seiner Ernennung zum Thronfolger entstanden sein.

Ein folgender Typus, der Nero mit derselben Frisur, aber erwachseneren Proportionen zeigt, ist hier durch einen Kameo in Privatbesitz vertreten. Er ist mit Münzbildnissen zu vergleichen, auf denen Agrippina und Nero gemeinsam erscheinen und die ins erste Regierungsjahr 54 n.Chr. gehören müssen. Prägnanter sind die Typenmerkmale auf Münzbildern, die Nero allein zeigen, wie hier ein Beispiel aus dem dritten Regierungsjahr (TRP III) 56/57 n.Chr. zeigt.

Der dritte Typus, hier vertreten durch einen Kopf im Thermenmuseum, hat Stirnhaar, das in eine scharfe Welle gebrannt ist, und zeigt erste Anzeichen von Verfettung im Gesicht. Charakteristisch ist dabei der Richtungswechsel der Welle an der rechten Schläfe. Diese Frisur erkennt man gut auf Münzen wie der abgebildeten aus dem Jahr 61/62 n.Chr. (TRP VIII). Die frühesten Beispiele finden sich auf Münzen des Jahres 59 n.Chr (TRP V). In diesem Jahr muss der Typenwechsel stattgefunden haben, der mit entschiedenen Einschnitten in Neros Politik zusammenfiel.

Der letzte Typus, vertreten durch einen Kopf in Worcester zeichnet sich durch ein noch stärker verfettetes Gesicht und durch eine engere Stirnhaarwelle aus, die in eine einheitliche Richtung verläuft. Diese neue Frisur lässt sich erstmals auf Münzen des Jahres 63/64 n.Chr. (TRP X) nachweisen. In dieser Zeit muss der Typenwechsel stattgefunden haben.

Es gibt anscheinend verschiedene Gründe für neue Porträttypen:

Erwachsenwerden

Einen naheliegenden Grund für neue Porträttypen gibt es bei sehr jungen Herrschern. Aus Gründen der dynastischen Nachfolge kamen mehrfach Kinder auf den Kaiserthron, oder junge Söhne des Kaisers wurden zu Mitregenten ihres Vaters. Ein allzu junger Herrscher, der die Regierungsgeschäfte noch nicht selbst führen konnte, galt aber als schwacher Herrscher und damit als potentielle Schwächung des Staates. Wer schon als Kind in der Öffentlichkeit als allein regierender Kaiser präsentiert wurde, musste also ein Interesse daran haben, sich so schnell wie möglich als vollwertiger, erwachsener Regent zu zeigen. Anders war dies bei Thronfolgern, die als solche jünger erscheinen sollten als der ältere Kaiser.

Eine solche Abfolge von Porträttypen ist an den Bildnissen des Marc Aurel (121−180 n. Chr.) abzulesen. Er war als siebzehnjähriger Kronprinz 138 n.Chr. von seinem Adoptivvater Antoninus Pius an der Regierung beteiligt worden. Diese Konstellation brachte einen ersten Porträttypus, der Marc Aurel bartlos und betont jugendlich zeigt. Schon etwa ein Jahr später wurde ein zweiter Porträttypus geschaffen, der beinahe zwanzig Jahre lang beibehalten wurde, also solange Marc Aurel neben Antoninus Pius regierte. Marc Aurel wird zunächst als junger Mann mit kurzem Bart gezeigt; im Laufe der Jahre wird der Bart immer voller, ohne dass sich die übrigen Merkmale des Typus verändern. Diese Veränderungen sind nicht beliebig von einzelnen Werkstätten vorgenommen worden, sondern folgen festen Vorgaben. Man spricht hier von Neuauflagen des Typus. Der dritte Porträttypus wurde erst nach dem Tod des Antoninus Pius 160 n.Chr. eingeführt, als Marc Aurel dessen Position einnahm. Marc Aurel erscheint nun als würdiger, reifer Mann in einem Bildnis, das Betrachter immer wieder an Bildnisse griechischer Philosophen erinnert hat. Später entstand noch ein vierter Porträttypus, der keine weitere Alterung des Kaisers ins Bild setzt, sondern die Erscheinung des reifen Mannes nur variiert. Das ist bemerkenswert, weil Alter und Lebenserfahrung als positive Werte geschätzt waren. Da das Phänomen auch bei anderen Kaisern zu beobachten ist, kann man daraus eine Regel ableiten: ein Kaiser kann im Porträt erwachsen werden oder auch alt dargestellt werden, wenn er alt zur Regierung kommt. Doch er kann nicht merklich zum Greis altern. Es ist wohl auch auszuschließen, dass Marc Aurel aus persönlicher Eitelkeit jünger erscheinen wollte, als er wirklich aussah. Denn die Regel, dass römische Kaiser nicht als Greise dargestellt wurden, ist auch sonst durchgehend befolgt worden.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Marc Aurel  

Das Phänomen, dass das Erwachsenwerden eines Kaisers von Neuauflagen eines Porträttypus begleitet wird, ist in der Göttinger Sammlung an Porträts des Kaisers Alexander Severus nachzuvollziehen, der im Alter von dreizehn Jahren 222 n.Chr. Kaiser wurde. Diese Neuauflagen sind von neu geschaffenen Typen zu unterscheiden. Denn sie behalten so weit wie möglich die Vorgaben des zugrundeliegenden Entwurfs bei. So ist bei allen Porträts des Alexander Severus die Anlage des Haupthaares unverändert. Im Laufe der Zeit verliert sein Gesicht die kindlich weichen Züge und bekommt erwachsene Proportionen; andererseits nimmt der Bartwuchs zu, vom ersten Flaum bis zu einem richtigen, kurzen Bart.

 Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Alexander Severus  

Änderung programmatischer Aussagen

Ein anderer Grund für den Wechsel von Porträttypen ist die Neugestaltung des Bildnisses als Ausdruck bewusster Selbstdefinition, oft in politischen und legitimatorischen Zusammenhängen. Römische Kaiserporträts bieten dafür zahlreiche Beispiele, von denen hier drei besonders markante vorgestellt werden.

Nero wurde im Alter von 13 Jahren 50 n.Chr. Thronfolger, 54 n.Chr. Kaiser. Dies war ein Erfolg seiner Mutter Agrippina minor, die den Anspruch ihres Sohnes auf den Thron mit ihrer und seiner direkten Abstammung von Augustus begründete. Dieser dynastischen Legitimation entsprechend wurde Nero zunächst mit glattem, kurzgeschnittenem Haar in mehreren Altersstufen dargestellt, schon als Prinz und dann als Kaiser. Diese Frisur mit ihren glatten Stirnfransen stand eindeutig in der Tradition der Porträts der julisch-claudischen Dynastie, die sich an den Porträts des Augustus orientierten. 59 n.Chr. brach Nero mit dieser Tradition. Drastischer Ausdruck dieser Neuorientierung war die Ermordung seiner Mutter, unter deren Ägide er in den Anfangsjahren regiert hatte. In dieser Zeit gestaltete er sein Bildnis neu: Er nahm lebensnahe Züge an, wie sie Augustus bis zum 80. Lebensjahr nicht gezeigt hatte. Außerdem legte er sich eine neue und modische Stutzerfrisur zu, die über der Stirn mit der Brennschere zu einer Welle geformt war. Noch eine Steigerung stellt der 64 n.Chr. eingeführte Porträttypus mit fettem Gesicht und noch schärfer gebrannter Haarwelle dar, der dem neuen Lebensideal des Genusses entsprach.

 Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Nero  

Kaiser Gallienus wurde in Jahren 253−60 n.Chr. als Mitregent seines Vaters Valerian mit jugendlichem Gesicht, kurzem Haar und Bart dargestellt. Als Valerian als erster und einziger römischer Kaiser 260 n.Chr. in die Hände der Sassaniden fiel und nicht ausgelöst werden konnte, wurde Gallienus Alleinherrscher. In dieser Situation, als zudem das römische Riesenreich an allen Enden zusammenzubrechen drohte, gab Gallienus sich ein charismatisches Image in eigentümlich abstrakten Gesichtsformen und mit langem Haar, mit dem er sich zugleich auf Augustus und Alexander bezog, die großen charismatischen Herrscher der Antike.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Valerianus & Gallienus  

Das Bemühen um Legitimation brachte hingegen Septimius Severus im Jahr 196 n.Chr. dazu, sich einen neuen Porträttypus zuzulegen. Zunächst zeigt sein Porträt in der Art der Mode des 2. Jahrhunderts n.Chr. Haar und Bart durch Bohrung aufgelockert, aber betont knapp und kurz. Doch bald ließ er sich in einem neuen Typus mit aufgesträubtem längerem Haar darstellen: Er glich durch diese Frisur sein Porträt dem des hochverehrten Marc Aurel an. Er unterstrich damit den Versuch, sich an die Tradition des antoninischen Kaiserhauses anzuschließen. Der Wandel der Frisur entspricht der gleichzeitigen Behauptung, er sei ein Sohn des Marc Aurel − eine Aussage, die niemand wörtlich nahm, weil bekannt war, dass Septimius einer italischen Familie aus Leptis Magna in Nordafrika entstammte. Doch wirkte sie als legitimierendes politisches Versprechen.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Septimius Severus  

Verschiedene Typen ohne erkennbare programmatische Aussage

Dem repräsentativen Charakter der Kaiserporträts entsprach es, dass sie nicht unbedingt auf Veränderungen des tatsächlichen Aussehens der Herrscher reagieren mussten. Darum war die Erfindung neuer Bildnistypen eines Kaisers nicht zwingend notwendig, wenn damit kein Imagewechsel verbunden war. Die Porträts des Kaisers Antoninus Pius sind dafür ein eindrücklicher Beleg: Er wurde nur in zwei Bildnistypen dargestellt, die kurz hintereinander 138 n.Chr. entstanden. Einer dieser Porträttypen stellt ihn als Kronprinzen dar, der andere als Kaiser. Doch da sie sich nicht programmatisch voneinander unterscheiden, ist schwer zu entscheiden, welcher der beiden erhaltenen Typen zuerst entstand. Danach wurde in den 23 Jahren der Regierung des Antoninus Pius kein neuer Porträttypus mehr geschaffen. Deutlicher kann zuverlässige Stetigkeit als politisches Programm mit den Mitteln des Porträts wohl kaum ausgedrückt werden.

Die unmittelbaren Vorgänger des Antoninus Pius, Trajan (98−117 n.Chr.) und Hadrian (117−138 n. Chr.), sind jeweils in mehreren Porträttypen dargestellt, die sich in ihrer programmatischen Aussage nach heutigem Kenntnisstand nicht unterscheiden. In der Forschung wird versucht, die Entstehung verschiedener Porträttypen eines Kaisers an markante Ereignisse seiner Regierungszeit zu knüpfen. Generell wurde zum Regierungsantritt ein neuer Porträttypus geschaffen. Neue Typen konnten anlässlich von Triumphen, Regierungsjubiläen, dem Antritt eines Konsulats oder Eheschließungen aufgelegt werden. Da antike Schriftquellen fehlen, ist man hier auf Rückschlüsse von Münzbildern angewiesen, die in Schrift und Bild regelmäßig solche Ereignisse thematisieren. Weshalb man sich aber in diesen Fällen zur Herstellung neuer Typen genötigt sah − bei Hadrian zählt man insgesamt 7 −, die sich von den vorigen nur marginal unterschieden, bleibt rätselhaft.