Kurzfristige Moden und langfristige Trends im römischen Porträt

Die Geschichte des römischen Porträts als Geschichte kollektiver Wertvorstellungen und Bedürfnisse

Die Geschichte der römischen Porträts der Kaiserzeit wird dominiert von der Abfolge der Kaiserporträts, an deren Modefrisuren und physiognomischem Habitus sich die Privatporträts orientierten.

Diese Orientierung, die zum Phänomen des ‚Zeitgesichts‘ führte, erzeugt für unsere Augen kurze Phasen enormer Konformität in der Gestaltung von Porträts. Wenn Dynastien Wert auf besondere Kontinuität legten, konnte diese Konformität auch über mehrere regierende Kaiser hinwegreichen, z.B. im Fall des julisch-claudischen Kaiserhauses und der Antoninen. Die Konformität findet sich auch dann in den Privatporträts wieder.

Immer wieder aber gab es Brüche mit Traditionen und völlig neue Gestaltungen der Porträts der Herrschenden. In der Sequenz der Kaiser vom 1. bis zum 3. Jahrhundert n.Chr. lösten unterschiedliche Moden und Stilisierungen einander ab. Die julisch-claudischen Herrscher gaben sich nach dem Vorbild des Augustus klassizistisch, alterslos und frei von Mimik; Nero ließ sich in seinen späten Jahren fett und mit einer Luxusfrisur darstellen; von den Kaisern nach Nero wollten mehrere ihr Alter betont sehen; im 2. Jahrhundert n.Chr. wurden Bärte und Locken Mode, die Kaiser erschienen distanziert und wieder frei von Mimik; im 3. Jahrhundert n.Chr. wurden kurzgeschorene Haare und Bärte Mode, in den Gesichtern der Porträts sollten Züge von Energie und Anstrengung betont sein. Schließlich wurden Kaiserporträts zu Masken der Erhabenheit, die sich von der Entwicklung der übrigen Porträts abkoppelten.

Welche Gesichtspunkte aber bestimmten die Selbstdarstellung der Kaiser, der dann die Masse der Privatporträts folgte? Immer wieder zeigt sich, dass die Kaiser bei der Entscheidung über die Gestaltung ihrer Porträts nicht völlig frei wählten, selbst wenn ihre Porträts individueller politischer Programmatik Ausdruck gaben. Denn sie waren ihrerseits langlaufenden Trends kollektiver Wertvorstellungen verpflichtet, und die Kaiser konnten im Einzelnen nur zwischen Varianten auswählen, die zur gleichen Zeit zur Verfügung standen, und denen sie dann durch die Gestaltung ihrer eigenen Porträts zum Durchbruch und zu weiterer Verbreitung verhalfen.

Ein Indiz für diese latent vorhandenen Möglichkeiten sind die Porträts, die sich nicht der jeweils herrschenden Mode anschließen: z. B. gab es in julisch-claudischer Zeit Bildnisse, die weiter den Leitbildern aus Zeiten der römischen Republik verpflichtet waren, und in der antoninisch-severischen Epoche Beispiele mit kurzem Haar und Bart, wie sie erst in der folgenden Soldatenkaiserzeit Mode wurden. Kaiserporträts waren also einerseits Auslöser kurzfristiger Moden der Selbstdarstellung, zugleich aber Exponenten langfristig wirkender und sich wandelnder kollektiver Wertvorstellungen und sozialer Anforderungen. Beide Aspekte hatten zur Voraussetzung, dass der Kaiser aussehen konnte wie jedermann und jedermann aussehen konnte wie der Kaiser. Das entsprach dem Charakter des Prinzipats, denn der Kaiser hatte zwar eine exponierte Stellung im Staat, aber eine besondere kaiserliche Sphäre gab es grundsätzlich nicht.

Phasen und Paradigmen

Die Betrachtung der längerfristigen Trends zeigt deutlich wechselnde Paradigmen. Dabei sind jeweils die Vorstellungen und das Selbstbild zu beschreiben, die den Hintergrund für die unterschiedlichen Porträtstilisierungen bilden. Auch Abweichungen und Sonderlösungen bekommen so ihren historischen Wert, denn sie lassen erkennen, welche konkurrierenden Vorstellungen gleichzeitig existierten. Der Wechsel der Paradigmen ist es, der letztlich die Geschichte des römischen Porträts als diachronen Vorgang interessant macht.

Fünf Phasen zeichnen sich ab:

1. Republikanische Porträts

Eine wichtige Form männlicher Repräsentation in der römischen Republik war das Altmännerporträt mit ausgeprägten Alterszügen und einer Mimik, die unpathetisch, aber entschlossen wirkt. Die ältere Forschung war überzeugt, dass für die Beliebtheit dieser Stilisierung das Aussehen der Ahnenporträts des Adels eine Rolle gespielt habe und dieses eventuell durch Totenmasken angeregt war. Andererseits könnten allein die hohe Bewertung militärisch-politischer Tätigkeit für den Staat und der Stellenwert von Alter und Erfahrung zu einer Hervorhebung von Alterszügen geführt haben. Diese Gesichtspunkte sind weiterhin Gegenstand der Diskussion.

Neben betonten Altersporträts standen Porträtstilisierungen, die sich in ganz verschiedener Weise an hellenistischen Modellen ausrichteten: Porträts mit weniger ausgeprägten Alterszügen, pathetischer oder reduzierter Mimik. In das Porträt des Pompeius ist die anastolé Alexanders integriert; das Intellektuellenporträt Caesars erinnert am meisten an das des Stoikers Poseidonios. Bezeichnenderweise gab es bei diesen Porträts keinen Standard, sondern besonders viele divergierende Formulierungen. Es würde zur Umbruchsituation der Gesellschaft der späten Republik passen, wenn jeder der Großen sich seine Form der Selbstdarstellung aus den ebenfalls divergenten Modellen zusammengestellt hätte.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Republikanische Porträts
Späte Republik
Ahnenporträt & Porträt im Haus
Stilisierungen
  

2. Augusteischer Klassizismus

Das Porträt des Augustus setzte ein neues, jugendliches Modell dagegen. Dieses war einerseits einer weitverbreiteten klassizistischen Strömung verpflichtet. Da Augustus zu Beginn seiner Karriere tatsächlich sehr jung war, war diese Darstellungsweise zunächst auch nicht unrealistisch. Die späteren Bildnisse aber orientierten sich dezidierter an der griechischen Klassik. Die Programmatik des klassisch-alterslosen Bildnisses trat sogar umso deutlicher hervor, je älter der Kaiser wurde, der schließlich noch mit über 70 Jahren jünglingshaft erschien und eine Frisur in der Art hochklassischer Statuen trug. Augustus verzichtete darauf, in hergebrachter Weise auf Alter und damit einhergehende Lebenserfahrung hinzuweisen. Als Bringer des unter seiner Regierung proklamierten Goldenen Zeitalters blieb er dauerhaft jugendlich in einer klassischen Stilisierung.

Das Paradox einer dynastischen Nachfolge in der scheinbar wiederhergestellten Republik war der Grund dafür, dass auch die Nachfolger des Augustus unabhängig vom Alter seinem Modell folgten. Es stand in der Tradition der Adeligen der Republik, nicht nur auf eigene Verdienste, sondern auch auf ruhmreiche Vorfahren zu verweisen, um sich für hohe Staatsämter zu empfehlen. Darum wollte man möglichst denjenigen Angehörigen des Kaiserhauses zum Kaiser machen, der am direktesten von Augustus abstammte. Die Verwandtschaft zu Augustus ließ sich im Porträt am besten durch Ähnlichkeit ausdrücken. Legitimation war also das Ziel solcher Bildnisangleichungen.

Soweit erforscht, rezipierten die Privatporträts sogar diese extreme Porträtgestaltung. Zum Teil passten sie sich wenigstens behutsam dem Trend zu klassizistischer Beruhigung an: sie unterdrückten Alterszüge und Mimik nicht ganz, milderten sie aber stark ab.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Julisch-Claudische Dynastie
Kaiserzeit
  

3. Erneuerter Realismus

Bei dem Porträt des Claudius (41 – 54 n. Chr.) ist eine erste Abkehr vom strengen Klassizismus der ersten julisch-claudischen Kaiser zu beobachten. Die Alterszüge, die bei seinem Porträt erstmals wieder dargestellt werden, lassen wohl darauf schließen, dass sich 70 Jahre klassizistischer Stilisierung und fiktiver Alterslosigkeit des Kaiserporträts in ihrem Aussagewert erschöft hatten und dass man nach Neuem verlangte.

Etwas später und nach dem Zwischenspiel Neros war eine der Lösungen für einen grundlegenden Wandel die Rückkehr zum Realismus in unterschiedlichen Schattierungen. Der alte Galba (68 n. Chr.) wurde mit einem Republikanerprofil dargestellt, das seiner vornehmen Herkunft Rechnung tragen sollte. Und das zahnlos-breite Gesicht des alten Vespasian sollte sicher analog zu seinem Verhalten rezipiert werden: es widersprach polemisch der Überfeinerung, aber auch den Exzessen der julisch-claudischen Kaiser und versprach eine realistische Politik. Die große Phase des julisch-claudischen Klassizismus war damit vorbei.

Nachdem jeweils unmittelbar zuvor Caligula und Nero, beide sehr junge Kaiser, ein gewaltsames Ende genommen hatten, war es zudem sicher ratsam, sich als erfahrener und besonnener Regent zu empfehlen. Im Porträt war ein Anknüpfen an das republikanische Leitbild des senex (Greis) geeignet, diese Aussage zu transportieren.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Claudius
Vespasian
  

4. Luxusfrisuren, Otium und die Akzeptanz griechischer Kultur

Gradus, anuli, Flaumbärte und Nero

Inzwischen hatte sich aber bereits untergründig ein Wandel der Moden angekündigt, der − so sei hier behauptet − mit einem Wandel des Wertesystems der römischen Gesellschaft verbunden war. Seit der Zeit Neros und dann in flavischer und trajanischer Zeit wurden in historischen Quellen Frisurmoden junger Leute erwähnt, die von den moralisierenden Schriftstellern als luxuriös und daher anstößig betrachtet wurden. Erstmals waren für solche Männerfrisuren längere Aufenthalte bei Friseuren nötig. Zu den modischen Frisuren gehörten Ringellocken (anuli) und mit der Brennschere in Form gebrachte Stufenfrisuren (gradus) sowie feingeschnittene Flaumbärte, die wie die heutigen Dreitagebärte ständige Pflege brauchten, um in Form zu bleiben.

Das erste für uns fassbare Beispiel einer solchen Frisur in der Kaiserikonographie finden wir bei den späten Porträttypen Neros, wo die gradus-Frisur tatsächlich mit einem Flaumbart verbunden war, der auf den Münzen oft plastisch dargestellt und bei den Marmorporträts aufgemalt war. Bei Nero war diese Stilisierung programmatisch mit einer Situation der Neuorientierung verbunden: Er hatte sich zunächst sowohl politisch als auch in seinem Porträt in die julisch-claudische Tradition gestellt. Nach dem Mord an seiner Mutter Agrippina im Jahr 59 n.Chr. gab er den Versuch auf, für den Senat den bescheidenen princeps inter pares zu spielen. Er wandte sich vielmehr einem Leben des Luxus zu. Eines der äußeren Zeichen dafür war die neue Stilisierung mit der gradus-Frisur und dem Flaumbart. Dabei ist zu bedenken, dass sich das antike Verständnis von Luxus erheblich von heutigen Vorstellungen unterscheidet. Darum ist auch die Verbindung von Luxus-Konzepten mit der Frisur Neros nicht so seltsam, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Und die Komponenten des römischen Luxus bilden einen der Schlüssel für viele Verhaltensweisen Neros. Dies wird im Folgenden stichwortartig erklärt.

Otium, Bildung und Luxus

Im 2. Jahrhundert v.Chr. eroberten die Römer den griechischen Osten und traten in nahen Kontakt mit der griechischen Kultur und der hellenistischen Zivilisation. Dieser Kontakt faszinierte sie, stellte aber die überlieferte Wertewelt in Frage, in der die politische und militärische Wirksamkeit im Vordergrund stand. Die Römer begegneten dieser Herausforderung, indem sie die Beschäftigung mit der griechischen Kultur und eine luxuriöse Lebensführung aus dem städtischen Leben in die Villa auf dem Land auslagerten. Es entstand der Begriff des otium, einer Muße, die genutzt wurde, sich mit Literatur, insbesondere Dichtung, mit Kunst und Philosophie zu beschäftigen. Zum otium gehörte aber auch der aus der hellenistischen Welt geläufige Lebensluxus. Um den Verführungen dieser neuen Beschäftigungen entgegenzuwirken, belegten moralisierende Traditionalisten all dies pauschal mit dem Vorwurf verweichlichender luxuria. In diesem Kontext gerieten also nicht nur die uns geläufigen luxuriösen Formen des Lebensstils, sondern merkwürdigerweise auch die Beschäftigung mit griechischer Bildung in den Geruch negativ konnotierter luxuria. Das konnte umgekehrt dazu führen, dass jemand, der den Luxus suchte, auch die Beschäftigung mit griechischer Kultur einschließen musste.

Im Laufe des 1. Jahrhunderts v.Chr. und des 1.Jahrhunderts n.Chr. gewannen die dem otium zugeordneten Beschäftigungen an Ansehen und allgemeiner Anerkennung. Im 2. Jahrhundert n.Chr. mündete diese Entwicklung in einer das Leben beherrschenden Begeisterung für alles Griechische. In der kulturellen Bewegung der Zweiten Sophistik standen die griechische Rhetorik und Philosophie hoch im Kurs; das Problem der luxuria war in diesem Zusammenhang überwunden.

Zur Zeit Neros war diese Entwicklung schon fortgeschritten. Aber die Verbindung des otium-Konzepts mit dem Gedanken an luxuria wirkte noch nach. Es ist deshalb plausibel, dass viele der Verhaltensweisen Neros sich aus der Verbindung des otium-luxuria-Konzepts erklären: sein Luxusleben auf der einen Seite, auf der anderen seine Begeisterung für Griechisches − griechischen Sport und griechische Wettspiele, die er in Rom einrichtete, sein Künstlertum als exzessive Form des Interesses an Dichtung und Vortrag, das Residieren in einer Villa mitten in Rom. In diesem Zusammenhang war es konsequent, dass Nero eine als besonders luxuriös geltende Haar- und Barttracht trug.

Wie sich die zur Schau gestellte Korpulenz Neros damit vertrug, muss dahingestellt bleiben. Vielleicht war ihm wirklich der Lebensgenuß durch Essen und Gelage (tryphé) ein so hoher Wert, dass auch dies als positive Bildaussage galt.

 Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Nero  

Anuli- und gradus-Frisuren unter den Flaviern und Trajan

Nach Nero trugen auch Titus und Domitian die Moden der eleganten Jugend, wenn auch in zurückhaltender Form und weniger provokant. Trajan trug das Haar glatt, und diese Mode sowie Zeitgesichter, die an seinem Porträt orientiert waren, erfreuten sich großer Beliebtheit. Aber die Bildnisse seiner Begleiter und Soldaten auf der Trajanssäule zeigen, dass die anuli– und gradus-Mode und die Flaumbärtchen bei den jungen Leuten weiterlebten.

 Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Titus
Domitian
Trajan
  

Die gradus-Frisur und der Bart Hadrians

Hadrian trug als Kaiser gradus-Frisur und Bart, beide nun voluminöser als früher. Sie wurden so zur führenden Mode. Noch immer war diese elegante Frisur mit Lebensformen verbunden, die einst dem otium zugehört hatten. Hadrian tat vieles von dem, was Nero getan hatte: Er hatte eine intensive Neigung zu Griechenland und zur griechischen Kultur, beschäftigte sich mit Kunst, Architektur und Dichtung und baute seine Villa in Tivoli so aus, dass sie ihm nicht nur als Landsitz, sondern auch als Residenz dienen konnte. Doch hatte all dies inzwischen einen selbstverständlicheren Platz in der römischen Kultur gefunden. Zur Akzeptanz des kaiserlichen Lebensstils trug wohl auch bei, dass Hadrian selbst keine Exzesse suchte.

Und da die klassischen Griechen bärtig gewesen waren, begann man, Hadrians Bart als gräzisierend zu verstehen. Sein Gesicht, das die Porträts von sorgfältig ondulierten Haaren und Bart eingerahmt zeigen, wirkt gelassen und ist frei von der mimischen Anspannung, durch die in anderen Epochen der römischen Geschichte Energie und Tatkraft eines Herrschers ins Bild gesetzt wurden. Bei Antoninus Pius verlor die Frisur den Charakter der gradus-Stilisierung und wurde zur Lockenfrisur.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Hadrian
Antoninus Pius
  

Locken, Goldstaub und Philosophenbärte bei den antoninischen Kaisern

Es folgten bis Commodus die antoninischen Adoptivkaiser, die im dynastischen Sinne die Mode Hadrians grundsätzlich fortführten. In einer Art selbstläufiger Entwicklung wurden dabei die Haare immer feiner onduliert und die Bärte immer länger, so dass man am Ende wirklich meint, den legendären Haarpuder aus Goldstaub zu sehen, mit dem Lucius Verus seinem blonden Haar Glanzlichter aufgesetzt haben soll. Die milden Gesichter mit unbewegter Mimik wurden währenddessen immer diaphaner, was durch die Marmorarbeit mit hoher Oberflächenpolitur herausgearbeitet wurde.

„Als Schüler des Antoninus [habe ich gelernt]: sein Einsatz für das vernunftgemäß Unternommene und allseitige Gleichmäßigkeit und Frömmigkeit und Heiterkeit seines Antlitzes und Freundlichkeit und Verachtung eitlen Scheins.“ Selbstbetr. 6, 30.

Im Kaiserporträt waren dieses Modell und die dahinterstehenden Ideale vornehmer Lebensformen und gebildeter Gelassenheit so verbindlich, dass sie auch bei entgegengesetzten persönlichen Wertvorstellungen und Schicksalen der Einzelnen nicht anzufechten waren. Marc Aurel war, wie in seinen ‚Selbstbetrachtungen‘ nachzulesen, überzeugter Stoiker und Anhänger eines einfachen Lebens. Fast während seiner gesamten Regierungszeit war er in schweren Kämpfen an der Donau eingespannt und in seinen späteren Jahren war er schwer krank. Seine Porträts lassen von all dem nichts erkennen, sondern geben ihn mit ruhig entspannter Miene und kostbar onduliertem und in aufwendiger Bohrtechnik ausgeführtem Haar wieder. Das Klima von Vornehmheit und Bildung, das in den führenden Schichten herrschte, führte hingegen dazu, dass die Zeitgenossen den langen Bart, den Marc Aurel trug, als Philosophenbart interpretierten − obwohl dessen Adoptivbruder Lucius Verus, dem keine philosophischen Neigungen nachzusagen waren, ihn ebenfalls trug. Solche Philosophenbärte galten als Markenzeichen der verbreiteten Porträts der alten griechischen Philosophen. Das Vorbild des Kaisers machte dann sowohl die Beschäftigung mit Philosophie als auch das Tragen von Philosophenbärten zu einer verbreiteten Mode.

Eine ziemlich konsequente Entwicklung verbindet also die Zeit von Nero bis Commodus, sowohl in den Erscheinungsformen von Porträts, als auch im kulturellen Hintergrund.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Marc Aurel & Lucius Verus
Commodus
  

5. Kurzhaarfrisur und Soldatenkaiserstilisierungen

Schon in der Regierungszeit des Marc Aurel mit seinen unausgesetzten Kriegen an der Donau begann der außenpolitische Wandel der römischen Welt, der in der Folge Zupacken und militärische Tatkraft zur wichtigsten Qualität eines Kaisers und damit auch zur bevorzugten Porträtaussage werden ließ. Ein entsprechender Wandel der Porträtdarstellungen bahnte sich bereits zur Zeit Marc Aurels an. Pompeianus, der verdienteste General des Marc Aurel, den er mit seiner Tochter Lucilla verheiratet hatte, und der ihn auf den Reliefs des Triumphbogens von 176 n. Chr. stets begleitet, trug Haar und Bart kurzgeschoren und wurde mit Alterszügen dargestellt. Möglicherweise hatten er und andere sich diese Frisur während einer schweren Pestepidemie zugelegt, in der sich laut Galen die römischen Offiziere das Haar abscheren ließen (Galen V,12; X,360; XIX,15). Aber es war ein Signal, wenn er in der Folge bei dieser praktischen und nüchternen Frisur blieb und Wert darauf legte, auch die Alterszüge nicht zu verbergen.

Diese Stilisierung war zukunftsweisend: Nach dem Tod des Commodus setzten sich die kurze Haar- und Bartmode, Alterszüge und Energieformeln im Porträt zunehmend durch. Sie entsprachen damit den Erfordernissen der Zeit, die immer mehr und in immer schnellerem Wechsel Kaiser zur Regierung brachte, die aus dem Soldatenstand aufgestiegen waren oder ihre Erfahrung, Einsatzbereitschaft und Fähigkeit zum Handeln auch im Porträt unter Beweis stellen mussten. Die meisten dieser Kaiser wurden in der Reichsverteidigung aufgerieben und in der Regel von einem Gegenkandidaten aus dem Heer wieder zu Fall gebracht. Seit Maximinus Thrax kam die Wiedergabe von Physiognomien mit bäurisch-derben Zügen hinzu. Sie müssen ein zusätzliches inhaltliches Versprechen in Richtung Tatkraft gewesen sein, waren also ein durchaus vertrauenerweckender Zug. Diese Porträtstilisierung herrschte bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts n.Chr. ungebrochen vor.

Die Kurzhaarfrisur der Soldatenkaiser des 3. Jahrhunderts n.Chr. ist unter dem Eindruck moderner Militärfrisuren als echte Berufstracht der Soldaten verstanden worden, die mit den Soldatenkaisern zur allgemeinen Mode geworden sei. Diese Auffassung muss modifiziert werden. Die Frisur – und die entsprechende Barttracht – kamen im Kreise der Militärs unter Marc Aurel auf, aber sie waren keine genuinen Berufstrachten. Denn vor dem Ende des 2. Jahrhunderts n.Chr. haben die Soldaten der Staatsreliefs die jeweils modischen fülligen Frisuren. Diese Darstellungen dürften zuverlässig sein − v.a. wenn man bedenkt, wie sehr sich die Bildhauer römischer Staatsreliefs bemühten, gerade die charakteristischen Details der Militärausstattungen genau wiederzugeben.

Vielmehr scheint es so zu sein, dass die Kurzhaarmode wegen ihres praktischen Aspekts in Verbindung mit ihrem Ausdruckswert in Mode kam, also wegen der Lebenshaltung, die ihre Träger damit verbanden. Athleten trugen schon lange kurze Haare, deshalb konnte die Frisur den Gedanken an physische virtus erwecken. Auch die Stoiker waren berühmt für ihr geschorenes Haar, das bei ihnen den Verzicht auf übertriebene Körperpflege sowie Einfachheit und Strenge ausdrückte. Der stoisch ausgerichtete Christ Clemens von Alexandria polemisierte im späten 2. Jahrhundert n.Chr. gegen die antoninische Haarmode „nach Art eines Schwamms“, sie sei ungesund. Kurzgeschorenes Haar hingegen sei nicht nur gesund, sondern lasse einen Mann austeros = herb und streng erscheinen (Clemens von Alexandria, Paedag. 3,11,60-63).

6. Intermezzo: Locken, Bärte und Legitimation, 190-230 n.Chr

Zwischen den hier beschriebenen großen Phasen sind die Jahre zwischen der Ermordung des Commodus und dem Regierungsantritt des Alexander Severus durch ständige Versuche der Regenten gekennzeichnet, ihre Herrschaft unter Bezug auf die große antoninische Tradition zu legitimieren, aber zugleich auf die neuen Gegebenheiten der politischen Situation zu reagieren. Die Porträtstilisierungen haben in dieser Auseinandersetzung eine wichtige eigene Rolle. Ihre Abfolge ist ein Musterbeispiel für solche legitimierenden Maßnahmen. Sie verdienen es, im Zusammenhang beschrieben zu werden.

Pertinax, der vom Senat gewählte Nachfolger des Commodus, war einer der Verschwörer, stammte aber aus dem Kreis des Pompeianus, des engsten Vertrauten des Marc Aurel, der weiterhin hoch angesehen war. Pertinax‘ Porträt mit kurzem Haar, tiefen Falten und konzentrierter Mimik griff in wesentlichen Zügen auf die Stilisierung des Pompeianus zurück, versprach also einen Neuanfang im Sinne der besten Tradition des Marc Aurel-Kreises.  

Die Stilisierung der Gegenkaiser aus demselben Jahr war ebenso programmatisch wie die der Kaiser nach dem Tod Neros. Didius Julianus, der Commodus rehabilitierte, ähnelt mit seinem gepflegten Haar und Bart, dem relativ glattem Gesicht und den feinen Zügen diesem Kaiser in auffallender Weise. Pescennius Niger trug kurzes Haar in der Art von Pompeianus und Pertinax und ließ sich mit entschieden groben Zügen und anscheinend mit besonders energisch wirkender Mimik darstellen.

Septimius Severus und Clodius Albinus folgten zunächst in gemäßigter Form der antoninischen Tradition durch Porträts mit gebohrtem, aber kürzerem Haar und Bart und ohne ausgeprägte Mimik.

Doch seit 195 n.Chr. bezog sich Septimius Severus dezidiert auf die Antoninen: er sei Sohn des Marc Aurel und Bruder des Commodus. Er ließ für sich und seinen Sohn Porträttypen schaffen, die die Bildnistypen des alten und des jungen Marc Aurel gleichsam wiederholten und leicht umbildeten. Aber schon in der Lebenszeit des Septimius Severus erhielten die beiden jungen Mitregenten Caracalla und Geta die neue Kurzhaarfrisur, die von Caracalla in der Zeit seiner Alleinherrschaft noch einmal abgewandelt wurde. Die energische Mimik Caracallas in seinem ersten Alleinherrschertypus war ein Extremfall − und bildete doch den Auftakt zu den mimisch angespannten Porträts des 3. Jahrhunderts n.Chr.

Macrinus nannte sich nach dem Mord an Caracalla selbst Severus und seinen Sohn wiederum Marcus Aurelius Antoninus. Er präsentierte in einem Jahr drei Porträttypen mit zunehmendem Bartwuchs. Mit dieser Tracht soll er Marc Aurel nachgeahmt haben, ein neuer Versuch des Anschlusses an die Tradition des Severus und der Antoninen.

Gegen ihn bot die Familie der Severer den jungen Elagabal auf, von dem sie behauptete, er sei ein leiblicher Sohn des Caracalla. Und so wie der Knabe den Soldaten zum Beweis dieser Behauptung über den Mauern der Feldlager gezeigt wurde, ließ man in Rom einen ersten Porträttypus für Elagabal schaffen, der den seltenen Büstentypus und die eigenwilligen Proportionen und Einzelformen des letzten Caracallatypus getreu in jugendlicher Ausfertigung wiederholte. Kaum in Rom etabliert, ließ Elagabal von sich ein ganz anderes Bildnis herstellen. Erst beim Bildnis seines Cousins Alexander Severus, der ihm auf dem Thron folgte, ist von den Legitimationsproblemen nichts mehr zu spüren.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Kaiser 191-194 n.Chr.
Severische Dynastie
Clemens von Alexandria, Paedag.3,11,60-63 

7. Suche nach Neuorientierung in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts

In der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts n.Chr. blieb das Paradigma des Soldatenkaiserporträts immer noch weitgehend führend, aber es setzte eine Suche nach neuer Orientierung ein. Es war eine Phase des Experimentierens, aus der schließlich das Konstantinsporträt hervorging, welches das Modell für die Kaiserporträt der folgenden Jahrhunderte wurde.

Die Regierungszeit des Valerianus und Gallienus stellte den Tiefpunkt der Krise des 3. Jahrhunderts n.Chr. dar. An vielen Fronten zugleich drangen die Nachbarn der Römer gegen die Reichsgrenzen vor. Sonderreiche spalteten sich ab. Gegenkaiser traten auf. Um 259 n.Chr. fiel dann noch Valerianus, der ältere der gemeinsam regierenden Kaiser, in die Hände der Sassaniden. Mit ihren Porträts wandten sich nun diese Kaiser von der Porträtgestaltung der vorausgehenden Soldatenkaiser ab und griffen auf gemäßigtere Bildnisformen zurück, die sich an spätseverischen, in den Frisuren vielleicht sogar an julisch-claudischen Porträts orientierten.

In der Zeit der größten Krise aber stilisierte Gallienus sich völlig um. In seinen beiden späten Bildnistypen präsentierte er sich mit langem Haar und bewusst abstrakten Zügen. Gallienus wählte sich die charismatischen, aber ursprünglich politisch konträren Herrscher Alexander und Augustus zugleich als Vorbilder. Von ihren Porträts übernahm einer seiner späten Bildnistypen offensichtlich einzelne Motive. Der zweite späte Typus erinnert an eine ikonographische Tradition, aus der das Christusbild herrührte.

 Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Valerianus & Gallienus  

Die folgenden Kaiser Claudius Gothicus, Aurelian und Probus waren teils nachweislich, teils wahrscheinlich an der Verschwörung gegen Gallienus beteiligt. Ihre Porträts ähnelten sich vielleicht absichtlich: in ihrer Rückkehr zu stärker wirklichkeitsnahen Formen und zur kurzen Haartracht stimmen sie besonders in den gestreckten Proportionen und abstrakten, streng die Senkrechte und Waagrechte betonenden Kompositionslinien überein. Dennoch unterscheiden sie sich in der Gestaltung der Einzelheiten mehr voneinander als die Kaiser vor der Jahrhundertmitte.

Ohne seine abstrakte achsengebundene Gestaltung könnte man das Porträt des Claudius Gothicus mit seinem kurzflockigen Haar und dem gelockten Kurzbart um 220 n.Chr. datieren. Sein Bruder Quintillus, der ihm für wenige Monate folgte, trug dagegen volles Haar mit dicken Locken, das an die Moden der antoninischen Zeit oder an die Caracallas als Alleinherscher erinnert. Die Porträts des Aurelian und Probus gleichen wieder mehr den Soldatenkaiserporträts vor der Jahrhundertmitte, teilen aber die abstrakte Rechteckform.

In der folgenden Konstellation des Carus mit seinen Söhnen Carinus und Numerianus existieren gleichzeitig ganz verschiedene Stilisierungen nebeneinander:

Das Porträt des Carinus ist mit den geschwungenen Augen und Brauen bis ins Detail so sehr spätseverischen Porträts angeglichen, dass man den Kopf ohne den Vergleich mit den Münzen sicher nicht in die achtziger Jahre des 3. Jahrhunderts n. Chr. datieren könnte.

Noch exotischer muss sein Bruder Numerianus ausgesehen haben, der langgesträhntes und sehr volles Haar mit Locken an den Schläfen trug.

Ihre abstrakte kubische Form mit den ebenso abstrakten Binnengliederungen verbindet die Kaiserbildnisse nach Gallienus; doch sonst sieht in dieser Zeit fast jedes Kaiserporträt anders aus als die anderen − zweifellos ein Symptom für das Hin und Her einer Suche nach neuer Orientierung, die auch im Rückgriff auf alte Formen bestehen konnte.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Claudius Gothicus
Quintillus
Aurelianus
Carus, Carinus & Numerianus
  

Es gehört ebenfalls in diese Phase des Experimentierens, dass die Tetrarchen und entsprechende Zeitgesichter mit ihren stoppelhaarigen, stoppelbärtigen und mimisch bewegten Porträts wieder zur ikonographischen Tradition der härtesten Soldatenkaiserporträts zurückkehrten. Nur steigern sie deren Expressivität in unerhörter Weise. Sudor largus (reichlich Schweiß) und labor (Anstrengung) um die Erringung des Friedens, wie es in Diokletians Preisedikt von 301 n.Chr. heißt, sollten wohl mit dieser Porträtgestaltung evoziert werden.

Diese Expressivität ist allen Porträts der Zeit gemeinsam, doch entwickelten sich nun regionale Unterschiede: In den Werkstätten der Stadt Rom und denen, die sich von den Vorbildern aus der alten Hauptstadt beeinflussen ließen, wurden Alterszüge und mimische Verzerrungen bis zum Exzess gesteigert. Musste die Mimik eher zurückhaltend sein wie bei den ‚jugendlichen Porträts‘ der tetrarchischen Caesares, wurde die Gesamtform verstärkt zum Ausdrucksträger. Asymmetrische Formen schienen sogar die Knochenstruktur der Köpfe zu beeinflussen.

Zugleich entwickelten Werkstätten des griechischen Ostens und Ägyptens andere Ausdrucksformen, besonders bei den Porphyrbildnissen mit ihrer erstarrten Mimik und den riesigen starrenden Augen. Der Wandel zur Expressivität setzte in Rom plötzlich ein und war schnell wieder verflogen. Das spricht dafür, dass es sich um eine ebenso bewusste Aktion handelte wie die Stilisierungen der vorausgehenden Herrscher.

Schon um 306 n.Chr. wurden die expressiven Formen der Bildnisse in Rom wieder abgemildert. Das Porträt des Maxentius − wie das spätere des Konstantin Bildnis eines jugendlichen Herrschers und schon darum weniger faltendurchzogen und mimisch verzerrt als andere − kehrte zu beruhigten Formen und charakteristischerweise wieder zu einer Strähnenfrisur zurück. Konstantin bezog sich dann mit Bartlosigkeit, vollem Strähnenhaar und zurückhaltender Mimik auf eine vergangene Tradition, die man gern mit Trajan in Verbindung bringt.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Tetrarchen  

8. Die Entrücktheit der spätantiken Kaiser und die Wirklichkeitsnähe der anderen Porträts

Der Porträttypus Konstantins mit dem nach vorn gekämmten Strähnenhaar, den alterslosen Zügen und der Bartlosigkeit wurde vorbildhaft für die Kaiser bis Justinian. Dabei gab es von Fall zu Fall Schwankungen; je mehr man sich zeitlich entfernte, desto größer konnten sie sein. Aber das Grundmodell war ganz oder in Teilen immer spürbar.

Demgegenüber blieben die Privatporträts grundsätzlich wirklichkeitsnäher. Sie führten zunächst die Tradition der Soldatenkaiserzeit und der Tetrarchie weiter, später folgten sie neuen Moden der Frisur und des Habitus. Fast immer aber waren sie bärtig, hatten Alterszüge und trugen andere Frisuren als die Kaiser. Die Kaiser sahen nicht mehr aus wie jedermann und jedermann konnte nicht mehr aussehen wie die Kaiser.

Sammlung E-learning Quellen Literatur
 Konstantinische Dynastie
Spätantike Kaiser
Spätantike