Republikanische Porträts

Die Anfänge der römischen Porträtkunst in republikanischer Zeit sind nur schwer zu fassen. Denn in Rom sind kaum Porträts aus dieser Epoche erhalten, schon gar nicht in ihren ursprünglichen Zusammenhängen. Die etruskischen Denkmäler, die gleichzeitig vom 5. bis zum 2. Jahrhundert v.Chr. entstanden sind, bieten nur einen begrenzten Ausgleich für diese Lücken in unserem Kenntnisstand. Hinzu kommt das Problem, unter den teils in Kopien überlieferten Porträts griechische und römische Bildnisse voneinander zu unterscheiden. Denn weitere Fragen der Forschung sind, ob es wesentliche Unterschiede zwischen griechischen und römischen Porträts dieser Zeit gab, und wie diese zu beschreiben und interpretieren wären. Einige Aspekte werden im Folgenden näher betrachtet.

Frühe Ehrenstatuen und die Überlieferung des republikanischen Porträts

In Rom hatte die Sitte der an öffentlichem Ort aufgestellten Ehrenstatue schon früh Fuß gefasst. Kaiserzeitliche Autoren berichten von Statuen, die etwa zeitgleich mit den ersten Ehrenstatuen in Athen im frühen 5. Jahrhundert v. Chr. entstanden sein sollen, vor allem Brutus als Gründer der römischen Republik. Allerdings ist es schwer, eine Vorstellung von solchen frühen Porträts zu gewinnen. Sie sind weder im Original noch in Kopien überliefert; es könnte sich auch um retrospektive Darstellungen späterer Zeit oder um Figuren gehandelt haben, die erst in späteren Zeiten als Darstellungen bestimmter historischer Persönlichkeiten gedeutet wurden.

Sicher ist, dass in hellenistisch-spätrepublikanischer Zeit die Zahl der Porträtstatuen in Rom stark zunahm. Schon 158 v.Chr. soll laut Plinius, NH 34,30 das Forum Romanum so mit Ehrenstatuen vollgestellt gewesen sein, dass alle Statuen abgeräumt wurden, die nicht auf offiziellen Beschluss aufgestellt worden waren. Danach durften dort nur noch vom Senat beschlossene neue Ehrenstatuen errichtet werden. Man darf sie sich als Statuen im Panzer oder in einer frühen Form der Toga, stehend oder zu Pferd vorstellen.

Aufwendigere Formen der Inszenierung früher Ehrenstatuen bezeugen die historischen Quellen und Münzbilder des 1. Jahrhunderts v.Chr. Sie zeigen z.B. Statuen auf Säulen und auf Bögen. Ein berühmtes Monument war die Säule des Duilius, die nach dessen Seesieg 260 v.Chr. über Karthago errichtet und mit erbeuteten Schiffsschnäbeln geschmückt wurde. Sie wird in historischen Quellen erwähnt und war Vorbild ähnlicher Säulen, die auf Münzen erscheinen und den so Geehrten über seine Mitmenschen hinausheben sollten (Plinius NH 34,27). Auch ein Teil der zugehörigen Inschrift wurde gefunden; sie gehört allerdings erst in spätere Zeit.

Die Köpfe der Porträtstatuen in der frühen und mittleren Republik kann man entsprechend den etruskischen Beispielen rekonstruieren, d.h. einigen Bronzeporträts und den Porträts der Verstorbenen auf Aschenurnen und Steinsarkophagen. Die Göttinger Sammlung besitzt einen Kopf, der wohl von einem Sarkophag aus einer südetruskischen Stadt stammt.

Ein wegen der schwierigen Überlieferungslage seltenes, aber durch seine hohe Qualität beeindruckendes Zeugnis ist der Bronzekopf des sog. Brutus im Konservatorenpalast in Rom, der gewöhnlich ins 3. Jahrhundert v.Chr. datiert wird. Der Kopf gehört zu den alten Beständen der kapitolinischen Sammlungen und wurde dort schon früh als Bildnis des Republikaners Brutus bezeichnet. Diese Benennung ist zwar nicht zu verifizieren, beschreibt aber den Eindruck, den dieses Porträt hinterlässt. In seinem unpathetischen Realismus ist der Kopf zum Inbegriff eines frühen römischen Porträts geworden.

Gesicherte Porträts von Römern kennen wir erst aus dem 1. Jahrhundert v.Chr. Sie lassen sich verschiedenen Kategorien zuordnen. Es gibt Porträts bekannter Persönlichkeiten, die meist in späteren Kopien überliefert und durch Inschriften, Fundkontexte oder Münzvergleich zu identifizieren sind. Eine zweite Gruppe bilden Porträts von Personen, die in mehreren, meist kaiserzeitlichen Wiederholungen überliefert sind, nach dem stilistischen Habitus aber ins 1. Jahrhundert v.Chr. gehören. Sie müssen Persönlichkeiten der republikanischen Zeit darstellen, die so bekannt waren, dass ihre Porträts in ihrer Lebenszeit, aber auch später häufig aufgestellt wurden, so dass noch heute mehrere Exemplare vorhanden sind. Mangels äußerer Anhaltspunkte können wir sie jedoch nicht benennen. Ein Beispiel ist ein in mehreren Wiederholungen überlieferter Typus; die Göttinger Sammlung besitzt Abgüsse der Repliken in St. Petersburg und Rom. Originale spätrepublikanischer Zeit sind als anonyme Einzelporträts und Köpfe von Grabstatuen und Grabreliefs.

Die römischen Ahnenporträts (imagines maiorum)

Für das Selbstverständnis und die Selbstdarstellung der römischen Nobilität der Republik waren die sog. Ahnenporträts von großer Bedeutung. Sie haben zugleich in der wissenschaftlichen Diskussion um die Entstehung und eventuelle Eigenart des römischen Porträts eine wichtige Rolle gespielt. Schriftquellen, die bis ins 2. Jahrhundert v.Chr. zurückreichen, berichten von der Sitte der römischen Nobilität, in den Atrien ihrer Häuser in Holzschreinen Porträts ihrer Vorfahren aufzustellen. Diese imagines sollen Masken oder Köpfe aus Wachs gewesen sein, von denen sich wegen des empfindlichen Materials nichts erhalten hat. Ausgestellt wurden die Bildnisse der Vorfahren, die curulische Ämter bekleidet und sich durch militärische Verdienste um Rom verdient gemacht hatten. Diese Porträts sollten, wie es heißt, den vergangenen Ruhm der Familie bezeugen und die Lebenden anspornen. Damit legitimierten sie auch den weiteren Anspruch der Familien auf eine führende Rolle. Die Bildnisse waren mit Beischriften versehen, die Ämter und Siege verzeichneten. Dazu kamen Stammbäume, die an den Wänden angebracht waren und dieselben Verdienste aufführten.

„Wenn sie ihn dann begraben und ihm die letzten Ehren erwiesen haben, stellen sie das Bildnis (eikon) des Verstorbenen an der Stelle des Hauses, wo es am besten zu sehen ist, in einem hölzernen Schrein auf. Das Bild (eikon) ist eine Maske (prosopon), die mit erstaunlicher Treue die Bildung des Gesichts und seine Züge wiedergibt. Diese Schreine öffnen sie bei den großen Festen und schmücken die Bilder, so schön sie können, und wenn ein angesehenes Glied der Familie stirbt, führen sie sie im Trauerzug mit und setzen sie Personen auf, die an Größe und Gestalt den Verstorbenen möglichst ähnlich sind. Diese tragen dann, wenn der Betreffende Konsul oder Praetor gewesen ist, Kleider mit einem Purpursaum, wenn Censor, ganz aus Purpur, wenn er aber einen Triumph gefeiert und dementsprechende Taten getan hat, goldgestickte.“  

Polybios 6,53

Die Ahnenbilder kamen auch bei den Begräbnissen der nobiles zu Einsatz. Der griechische Historiker Polybios beschreibt im 2. Jahrhundert v.Chr. dieses Ritual aus eigener Anschauung. Der Leichenzug führte zunächst zum Forum, wo eine Rede auf die miltärisch-politischen Verdienste des Verstorbenen gehalten wurde. Der Bahre folgte die lange Reihe seiner Ahnen. Jüngere Familienmitglieder oder Schauspieler trugen dabei die als Masken gestalteten Bildnisse der Vorfahren mit Insignien und Trachten, die deren Rang entsprachen. Polybios war von der Ähnlichkeit der Bildnisse beeindruckt.

Diese Bräuche sind Ausdruck des römischen Wertesystems, in dem allein eine politisch-militärische Tätigkeit für den Staat Gültigkeit hatte. Für die entsprechenden Formulierungen sind die Grabinschriften der Cornelii Scipiones die bekanntesten Beispiele. Sie gelten Mitgliedern eines Zweiges dieser führenden Familie des 3. und 2. Jahrhundert v.Chr. Von einem Jungverstorbenen, P. Scipio Cornelius, der keine Gelegenheit hatte, sich Verdienste zu erwerben, heißt es nach Aufzählung seiner Tugenden, dass sein Leben zu kurz war, denn sonst „…hättest du mit deinen Taten den Ruhm deiner Vorfahren übertroffen.“

Republikanische Altersbildnisse

In der starken Konkurrenzsituation im letzten Jahrhundert der römischen Republik propagierten die Münzmeister, junge Beamte am Anfang ihrer Ämterkarriere, die Bedeutung der eigenen Familien, indem sie die Porträts berühmter Vorfahren und die Ehrenmonumente, die diesen zugesprochen

worden waren, auf den Münzen abbildeten. Deshalb sind auf den Münzen dieser Zeit Porträts bekannter Römer aus der jüngeren und aus der weiter zurückliegenden Vergangenheit zu sehen. Darunter finden sich markante Porträts mit ausgeprägten Alterszügen und angestrengter Mimik, wie das Beispiel des C. Restio, der vermutlich der Vater des um 47 v.Chr. prägenden Münzmeisters gleichen Namens war.

Neben solchen Porträts prominenter Männer sind vor allem aus dem späteren 1. Jahrhundert v.Chr. und dem frühen 1. Jahrhundert n.Chr. zahlreiche originale Porträtskulpturen erhalten. Viele stammen wahrscheinlich von Grabmonumenten, in denen die Verstorbenen durch Porträtstatuen repräsentiert wurden. Häufig sind auch die sog. Kastengrabsteine, blockartige Hochreliefs mit der Darstellung ganzer Familien in Porträtbüsten, die in die Fassaden von Grabbauten eingelassen waren.

Grabstatuen und die Büsten von Männern in Kastengrabreliefs, die durch ihre altertümlichen Togaformen oder durch die Modefrisuren der zugehörigen Frauenporträts als Arbeiten der späten Republik und frühesten Kaiserzeit zu erkennen sind, haben oft Porträtköpfe mit ausgeprägten Alterszügen.

In einem Kastengrabrelief in Berlin sind zwei Freigelassene eines P. Aiedius dargestellt, die nach ihrer Freilassung eine legale Ehe eingingen und dies wohl durch den symbolischen Gestus des Handschlages demonstrieren. Das Porträt des Mannes zeigt ausgeprägte Alterszüge, die Frau erscheint jung und trägt eine spätrepublikanische Frisur. Die Züge des Männerporträts sind nach augusteischem Geschmack mimisch beruhigt.

Auch die beiden Büsten im Vatikan, die aus einem solchen Relief herausgeschnitten sind, stellen einen Mann mit deutlichen Alterszügen im Handschlag mit einer jungen Frau dar. Sie trägt eine augusteische Modefrisur. Die Mimik des Mannes ist beruhigt, wie schon beim zuvor betrachteten Beispiel. Auch auf diesem Grabstein sind Freigelassene dargestellt, wie einer heute zerstörten Inschrift zu entnehmen war. Der Ausschnitt der Büsten ist mit Bedacht so gewählt, dass man die Toga des Mannes, das Gewand des freien Bürgers, gut erkennt. Eine rechtsgültige Ehe und die Togatracht waren diesen ehemaligen Sklaven erst nach ihrer Freilassung erlaubt; sie sind stolz präsentierte Kennzeichen ihres neuen sozialen Status. Reliefs dieser Gattung wurden auch sonst von Freigelassenen bevorzugt.

Diese Porträts sind typisch für die Bildnisse in den letzten Jahren der römischen Republik und am Beginn der augusteischen Zeit. Aufgrund ihrer ähnlichen Gestaltung lässt sich auch eine große Anzahl kontextloser männlicher Porträtköpfe der späten Republik zuweisen. Alle zeichnen sich durch auffallende Alterszüge aus.

Drei Beispiele verdeutlichen das Spektrum der Möglichkeiten: Ein Kopf in München zeigt ein von Alter und starker Aktivität zerklüftetes Gesicht voller tiefer Schrunden und energischer Mimik. Bei einem Kopf in Dresden spannt sich über dem Knochengerüst papierdünne und von Falten durchzogene Haut, unter der das Fleisch geschwunden ist. Ein Kopf in Berlin vertritt tendenziell dieselbe Richtung, wirkt aber wegen seiner einfacheren Ausarbeitung gemäßigter in der Alterscharakterisierung.

Eine etwas geschönte kaiserzeitliche Kopie eines republikanischen Altersbildnisses ist auch ein Porträt aus dem Familiengrab der patrizischen Familie der Licinier, dessen Porträtfunde sich heute in Kopenhagen befinden. Vielleicht stellt das in mehreren Wiederholungen überlieferte Porträt den Triumvirn und Konsul der Jahre 70 und 55 v.Chr., M. Licinius Crassus dar. Eine Kopie des Typus im Louvre weist stärkere Alterszüge und ausdrucksvollere Mimik auf. Das entspricht der vermuteten Entstehungszeit des Typus um die Mitte des 1. Jahrhunderts v.Chr., so dass das Porträt im Louvre dem Original näher stehen dürfte.

Im römischen Wertesystem entspricht der Betonung des Alters dessen Hochschätzung. Dazu gehörten durchaus auch die entsprechenden physischen Verfallserscheinungen. Das Mindestalter für Konsuln war 40 Jahre; in der Antike, in der die meisten Menschen nicht älter als 35 Jahre wurden, kein geringes Alter. An Politikern schätzte man die Erfahrung des höheren Alters.

Der Pluralismus anderer Stilisierungsformen in der römischen Republik

Das Münzporträt des C. Restio, das vermutliche Porträt des Crassus und andere Beispiele zeigen, dass Mitglieder der Nobilität sich mit Altersporträts darstellen ließen. Diese Form der Selbstdarstellung wurde dann offenbar von breiteren Kreisen rezipert. Andere Politiker des 1. Jahrhunderts v.Chr. aber wählten eher hellenistische Formen der Selbstdarstellung. Seit dem 2. Jahrhundert v.Chr. fand eine lebhafter Rezeption hellenistischer Lebensformen statt. Zugleich konkurrierten die Mitglieder der römischen Führungssschicht heftig miteinander. Bezeichnenderweise führte diese Konkurrenz bei den Porträts nicht zur Herausbildung einer Norm. Es herrscht vielmehr eine große und vielleicht kaum je wieder anzutreffende Vielfalt der Stilisierungsformen. Das war umso einfacher, als die griechischen Porträts des späten Hellenismus ebenfalls ein großes Spektrum an Möglichkeiten aufwiesen.

Der Politiker und Schriftsteller Cicero (106-43 v.Chr.) ließ sich mit fülligem Gesicht und verhaltener Mimik darstellen. Entsprach die Betonung von Körperfülle einer der Varianten des griechischen Literatenimages?

Von dem großen Feldherrn und Triumvirn Pompejus (106-48 v.Chr.) sind zwei untereinander ähnliche Bildnistypen bekannt. Der hier abgebildete Typus ist durch den Vergleich mit den Porträts des Pompejus Magnus auf Münzen benennbar, die nach Pompejus‘ Tod von seinem Sohn Sextus Pompeius geprägt wurden, als dieser mit einer eigenen Flotte operierte. Ein etwas verriebenes Exemplar in Göttingen lässt noch die charakteristische knollige Nase und die aufgesträubte Frisur erkennen. Das Porträt in

Kopenhagen stammt aus dem Grab der Licinier, weil Pompejus mit der Familie durch Heirat verwandt war. Ein Sohn der Familie erhielt sogar den Namen Pompejus Magnus, was ihm und seinen Eltern in julisch-claudischer Zeit sehr schadete. Der Verdacht, dass dies eine Herausforderung des Herrschaftsanspruchs der regierenden Dynastie war, scheint berechtigt. Denn die Aufstellung von Porträts bedeutender Politiker der Vergangenheit unter den Bildnissen von Familienangehörigen im Grab unterstreicht den Führungsanspruch der Familie noch in der Kaiserzeit. Diese Form der Aufstellung entspricht der Verwendung von Ahnenporträts im Leichenzug und der Erweiterung der Ahnengalerien im Haus durch Vorfahren, die bei einer Heirat von der Frau mitgebracht wurden. Durch die Aufstellung des Porträts im Grab partizipierten die Licinier am Ruhm des Pompejus.

Das Porträt des Pompejus ist eine Kopie nach dessen zweitem Typus, bei dem das Haar über der Stirn stärker aufgestellt ist als beim ersten und die Mimik energischer. Das nicht ganz kurze und über der Stirn hochgesträubte Haar dieses Porträttypus lässt sich mit dem auch sonst bezeugten Wunsch des Pompejus in Verbindung bringen, als ein zweiter Alexander zu erscheinen. In überraschendem Gegensatz zur anspruchsvollen Frisur stehen die etwas plumpen Züge, die blinzelnden kleinen Augen und die angestrengte Mimik mit den zusammengepressten Lippen. Ein Deutungsansatz, der versucht, diese heute widersprüchlich wirkende Gestaltung zu erklären, sieht die bieder wirkenden Züge im Gegensatz zur Alexanderfrisur als bewusste Erzeugung eines volksnahen Äußeren, dem auch das Lächeln des Mundes entsprochen hätte. Der Ausdruck des Mundes kann jedoch unterschiedlich interpretiert werden: Aus anderem Blickwinkel wirkt der Mund nicht lächelnd, sondern energisch zusammengepresst. Dies lässt sich auch an entsprechend aufgenommenen Fotografien nachvollziehen, die hier an anderer Stelle gezeigt werden.

Ein anderer erwägenswerter Interpretationsansatz besteht darin, das Porträt als eines jener Werke der späten Republik anzusehen, bei denen die starke Individualisierung ein Wert für sich war.

In diese Gruppe gehört sicher auch das Porträt Caesars (100-44 v.Chr.) Der einzige bekannte Porträttypus Caesars aus seiner Lebenszeit ist in mehreren Wiederholungen überliefert. Von diesen gibt ein Porträt aus Tusculum in Turin den Typus am getreuesten wieder und könnte selbst ein Original der Zeit sein. Lediglich die korrodierte Oberfläche beeinträchtigt die Aussagekraft ein wenig. Dass dieser Typus zu Lebzeiten Caesars entstanden ist, erweist der Vergleich mit den Münzbildnissen Caesars, die ersten davon aus seinem letzten Lebensjahr. Der charakteristische lange, sehr faltige Hals und der gestreckte Schädel mit der Einsenkung am Oberkopf finden sich auf den Münzbildnissen wieder. Auch an diesem Porträt treffen eigentümliche Gegensätze aufeinander. Der magere Hals und der leicht deformierte Kopf wirken ungewöhnlich wirklichkeitsnah. Auch das Gesicht ist mager, es hat aber nur zurückhaltende Alterszüge und eine verhaltene Mimik. Man kann sich nur schwer dem Eindruck entziehen, Caesar sei mit distanziertem Ausdruck und dem leicht ironischen Lächeln dargestellt, das man dieser Persönlichkeit zutraut. War dieses mimisch entspannte Porträt an späthellenistischen Bildnissen Gebildeter orientiert und Caesar weniger als Feldherr und Politiker, denn als Intellektueller dargestellt? Das Porträt des Stoikers Poseidonios aus der gleichen Epoche bietet sich zur Gegenüberstellung an.

Man könnte diese Reihe bekannter Gestalten weiter vermehren. Dazu gehören die oben genannten Porträts der Persönlichkeiten der späten Republik, deren Namen wir zwar nicht kennen, die wir aber der Führungsschicht zurechnen können. Denn ihre Porträts wurden in dieser Zeit und später noch zahlreich aufgestellt. Das erweitert das Spektrum der Möglichkeiten, denn keines dieser Porträts gleicht einem anderen.

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CaesarPorträtfotografie Späte RepublikPolybios 6,53 

Ahnenporträt und Totenmaske versus hellenistischer Realismus? Romanitas oder Kulturtransfer?

Die Diskussion über das republikanische Porträt wurde lange von der Vorstellung beherrscht, es hätte eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Brauch der Ahnenbildnisse und den Greisenporträts der späten Republik gegeben. Die wächsernen Ahnenporträts wurden als Totenmasken interpretiert, aus den Matrizen gewonnen, die von den Gesichtern der Verstorbenen abgeformt wurden. So seien die Masken entstanden, die in den Häusern standen und beim Begräbniszug über dem Gesicht getragen wurden. Die Gesichtszüge der rundplastischen römischen Bildnisse waren dieser Argumentation zufolge Umsetzungen solcher imagines in Stein oder Bronze. Porträts wie das in Dresden erinnern an in der Tat an eingefallene Gesichter von Toten. Doch lässt sich aus den vorhandenen Textquellen weder

eindeutig beweisen noch ausschließen, dass die Ahnenporträts solche − überarbeiteten − Totenmasken waren. Wirkliche Totenmasken sind als Abformungen oder deren Ausgüsse sowohl aus Ägypten wie aus der römischen Antike gelegentlich überliefert.

Die Verwendung von Ahnenbildern, die auf Wachsmasken beruhten, galt in der Forschung als eine uralte römische Einrichtung. Daraus schloss man lange, dass diese Bilder der Nobilität die Gestaltung des frühen römischen Porträts bestimmten und dass der Ursprung des römischen Porträts in diesen Ritualen lag. Zum Wesen der Römer gehörte demnach ein besonderer Sinn für deskriptiven Realismus, der sich auch in anderen Bereichen der römischen Kultur, wie in den Historienbilder äußerte. Dadurch habe sich eine spezifisch römische Kunst von einer spezifisch griechischen unterschieden.

Dieses Modell, das an einer Auffassung von Kultur als Ausdruck angeborener und unabänderbarer Prägungen orientiert war, wurde seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts zunächst vor allem von dem italienischen Archäologen R. Bianchi-Bandinelli und seinen Schülern angefochten. Später wurde diese Kritik von einer breiten Strömung der Forschung aufgegriffen und herausgearbeitet, dass Rom vom 3. bis 1. Jahrhundert v.Chr. Teil der hellenistischen Welt war und dass grundsätzlich Realismus ein wesentlicher Aspekt hellenistischer Kunst war. Die krude realistischen Porträts in der Art des Kopfes in Dresden seien Teil einer volkstümlichen Unterschichtsströmung innerhalb der allgemein hellenistischen Prägung auch des republikanischen Porträts. Im weiteren Verlauf dieser Diskussion kam es sogar zu der Auffassung, die nobiles der späten Republik hätten sich durchweg hellenistisch stilisiert und vor allem die Freigelassenen hätten sich in einer vereinfachten Auslegung subtilerer hellenistischer Formen der einfachen, ‚realistischen‘ Darstellungsformen bedient.

Seit dem Austrag dieser Kontroversen sind dreißig Jahre vergangen, und die Forschung beginnt, die einst so heftig umkämpften polaren Positionen neu zu überdenken. Zwei der jüngeren Beiträge zu dieser Diskussion seien angeführt:

− Nach der einen Auffassung gibt es einen spezifisch römischen Realismus, den man auch in den griechischen Gebieten des späten Hellenismus antreffen kann. Im griechischen Osten hätten sich vor allem die mit den Römern befreundeten Herrscher die sog. philorhomaioi einer realistischen Formensprache bedient, um sich absichtlich ‚römisch‘ zu stilisieren.

− Nach der anderen Auffassung sind alle angeblich typisch römischen Porträts letztlich Ausprägungen hellenistischer Möglichkeiten. Die spezielle Konkurrenzsituation der späten Republik habe aber dazu geführt, dass zumindest die Porträts der großen Politiker im neuen Zentrum Rom zu extrem unterschiedlichen Lösungen greifen. Zugleich sei aber eine einzigartige Individualisierung zu beobachten, die seit Augustus durch neue Normierungen und Schematisierungen abgelöst wurde.

Diese Vorschläge sind nicht ganz frei von der alten Polarität. So wird die Frage in Zukunft neu überdacht werden müssen. Dabei ist zu hoffen, dass sich in Zukunft die Zahl der hellenistischen Beispiele aus aussagekräftigen Kontexten vermehren wird. Auf der Basis des heutigen dürftigen Kenntnisstandes werden viele Ergebnisse der Forschung wohl Hypothesen bleiben.

Sicher festzuhalten ist hingegen, dass ein großes Interesse an deskriptiver Altersdarstellung in der römischen Republik besonders verwurzelt ist.

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 Ahnenporträt & Porträt im Haus
Hellenistische Bürger & Intellektuelle: Griechen & Römer
Späte Republik
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Totenmasken und Ahnenporträts
Philorhomaioi
Rezeption hellenist. Porträtformen in Rom