Die Zeit Alexanders d. Gr.

Mit Alexander d. Gr. beginnt auch in der griechischen Porträtkunst eine neue Epoche. Unsere Vorstellungen von griechischen Porträts sind bis zu seiner Zeit vor allem von Darstellungen der Bürger griechischer poleis geprägt. Die makedonischen Könige stehen außerhalb der Beschränkungen, die für solche Bildnisse gelten; anscheinend nutzte erst Alexander dies für eine neuartige Selbstdarstellung. Seine öffentliche Stilisierung führte in den Städten, die in den makedonischen Herrschaftsbereich gerieten, zu Veräderungen dieser Regeln; neue Haar- und Barttrachten folgen offenbar dem königlichen Vorbild.

Vorgänger und Vorläufer

Philipp II von Makedonien

Die Grundlagen der spektakulären Erfolge Alexanders wurden durch seinen Vater Philipp gelegt. Seine Expansionspolitik machte ihn zu einem der wichtigsten Akteure in der griechischen Politik des 4. Jahrhunderts v. Chr. Deshalb wurden, wie zu erwarten, Porträts Philipps an verschiedenen Orten Griechenlands errichtet, was historische Nachrichten bezeugen. Doch wurde bislang noch kein zeitgenössisches Porträt Philipps sicher identifiziert. Seit Auffindung der Gräber in der königlichen Nekropole von Vergina gibt es zwar eine intensive Diskussion um seine Porträts, aber die vorgeschlagenen Identifizierungen von Bildwerken aus dem sog. Philippsgrab sind mit guten Gründen bezweifelt worden.

Erst aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. gibt es eine Serie von Medaillons, die neben Porträts Alexanders auch eine Büste Philipps in Profilansicht zeigen. Das Bildnis trägt ein Königsdiadem und einen Panzer. Obwohl das Diadem für die Zeit vor Alexander anachronistisch ist (es wurde erst durch Alexander eingeführt), kann nur Philipp gemeint sein. Er erscheint hier mit gedrungenem Kopf, leichten Alterszügen und energisch zusammengezogener Stirn.   Die Medaillonserie entstand allerdings in der Zeit des Kaisers Caracalla. Sie war vielleicht eine Stiftung für die regelmäßig in Beroia in Makedonien veranstalteten Spiele zu Ehren Alexanders, da Caracalla Alexander als sein großes Vorbild ansah. Deshalb kann man sich fragen, ob und inwieweit diese bildliche Überlieferung getreu ist. Das Diadem war in der römischen Kaiserzeit sicherlich nötig, um verständlich zu machen, dass es sich um einen König, den berühmten König Philipp handelt.

Wenn man diese späte Darstellung Philipps mit gesicherten Darstellungen aus der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts v.Chr. vergleicht, z.B. dem Faustkämpfer in Olympia, bei dem lediglich Haar und Bart länger sind, wird deutlich, dass es hier durchaus Verbindungen gibt.  

Ein Reliefbildnis aus dem Inneren einer hellenistischen Tonschale aus Dion in Makedonien ist dem Bildnis auf dem Medaillon von Tarsos so ähnlich, dass man an dieselbe Person denken könnte, wenn der Dargestellte nicht eine leicht aufgeworfene Nase hätte. Es ist bisher unbenennbar, kann aber vielleicht die Existenz der Ikonographie in hellenistischer Zeit bezeugen, der das späte Bildnis Philipps in der Kaiserzeit folgt.   In den Stadtstaaten der griechischen Halbinsel gab es im 4. Jahrhundert v.Chr. keinen Bedarf, besondere Darstellungsformen für Könige zu entwickeln. Anders war die Situation in Kleinasien, wo Künstler im griechischen Stil für örtliche Dynastien arbeiteten, z.B. in Lykien und Karien. Hier sind auch Bildnisse von Herrschern und ihren Angehörigen erhalten, mit denen die Bildnisse der makedonischen Könige verglichen werden können.

Fürsten in Kleinasien: Lykien

Der lokale Dynast, der das sog. Nereidenmonument von Xanthos (heute in London) in Auftrag gab, ist auf einer der Reliefplatten dieses Grabbaus thronend dargestellt, in einer Audienzszene. Sein Ornat, mit einer Tiara als Kopfbedeckung, ist offensichtlich von der Tracht der persischen Großkönige abgeleitet. Die Tiara verdeckt die

Haare darunter, dennoch sind ein kurzer Vollbart und bis auf den Hals herabfallende Locken des Haupthaares zu erkennen. Die Haartracht des Fürsten unterscheidet sich damit nicht von derjenigen der beiden älteren Männer, die ihm von rechts entgegentreten. Sie sind mit Chiton und Mantel bekleidet, wie es auch für Bürger griechischer Städte üblich war. Stirnglatze und langsträhnige Frisur sind auf attischen Grabreliefs Kennzeichen des Greisenalters.

Auf dem Medaillon von Tarsos ist Philipp dagegen mit kurzgelocktem, vollem Haar und knappem Vollbart als Mann in seinen besten Jahren dargestellt.

Fürsten in Kleinasien: Karien

Kurzer Bart und halblanges Haar begegnen an einem Statuenkopf vom Maussolleion von Halikarnassos wieder, der einen Angehörigen der Dynastie des 353 v. Chr. verstorbenen Maussollos darstellt, möglicherweise einen seiner königlichen Vorfahren. Idrieus, ein Bruder des Maussollos, wird auf einem Weihrelief aus Tegea aus den Jahren 351-344 v.Chr. ebenfalls mit kurzem Vollbart und fülligem, halblangen Haar dargestellt. Hier ist längeres Haar offenbar nicht allein sehr alten Männern vorbehalten. Als lokale Mode ist diese Haartracht in Karien und Lykien an etlichen Grabdenkmälern zu finden.

Diese Skulpturen und die Bildnisse aus griechischen Städten des 4. Jahrhunderts v.Chr. deuten das Umfeld an, in dem das Porträt Alexanders d.Gr. entworfen wurde. Doch sind seine Bildnisse nicht als bruchlose Fortsetzung bestehender Traditionen zu verstehen, sondern markieren einen Neuanfang.

Porträts Alexanders d. Gr.

Alexander (336-323 v. Chr.) kam im Alter von 20 Jahren an die Regierung und starb mit 33 Jahren. Seine Porträts zeichnen sich durch ihre Bartlosigkeit und das halblange Haar aus, das über der Stirn wie an einem Wirbel aufgesträubt ist (Fachausdruck: anastolé = Hoch-, Auf-, Zurückwerfen).

Diese Stilisierung eines Staatsmanns war vermutlich im griechischen Kulturbereich neu. Durch die spektakulären Erfolge Alexanders wurde diese Form des Porträts zu einem immer wieder imitierten Grundmodell eines charismatischen Herrscherbildes. Diesem Bild entsprachen zudem die Bilder mancher jungen Götter und jugendlicher Heroen des Mythos so sehr, dass immer wieder darüber diskutiert wird, ob der Herrscher diese Götter oder die Götterbilder den Herrscher nachahmen.

Zugleich entstanden mit Alexander vielfache Darstellungsformen, die durch Attribute und deren abstrakte Kombination sehr voraussetzungs- und anspielungsreich waren, und die bis in die Spätantike hinein für Herrscherdarstellungen typisch blieben.

Einige Hauptlinien aus der vielfältigen Überlieferung werden hier verfolgt:

− historische Nachrichten über Alexanderbildnisse

− originale Bildnisse zu Alexanders Lebzeiten und aus dem frühen Hellenismus

− rundplastische Bildnistypen, die nur in römischen Kopien überliefert sind, und deren Entwurf die archäologische Forschung Alexanders Lebenszeit zuschreibt

− die spätere Entwicklung

− die Körpertypen und die Ausstattung der Bildnisse

− die Aussage der Kopfstilisierung

Quellen

Alexander war in seinen Darstellungen wählerisch: Angeblich ließ er sich nur von Apelles malen, dem berühmtesten Maler des 4. Jahrhunderts v.Chr., und nur von Lysipp, dem berühmtesten Bildhauer seiner Zeit, in Werken der Plastik porträtieren. Am Porträt (oder am wirklichen Aussehen) Alexanders wurde das hygron − ein schwer zu übersetzender Ausdruck, der das Feuchte und Glänzende meint − gelobt. Das halblange, über der Stirn hochgesträubte Haar wurde als löwenhaft verstanden.

Originale Porträts aus der Lebenszeit Alexanders d. Gr.

Aus seiner Lebenszeit ist nur eine Originaldarstellung Alexanders erhalten. Sie findet sich auf Münzen, die während Alexanders Indienfeldzug in den Jahren 327/6 v.Chr. entstanden sein müssen. Es ist strittig, ob diese Münzen ihm

von dem lokalen König als diplomatisches Geschenk dediziert, oder von Alexanders Administration in Babylon geprägt wurden. Sie zeigen auf der einen Seite Alexander, der zu Pferd einen bereits zur Flucht gewendeten Kriegselefanten verfolgt. Darauf reiten ein Mahout und ein Krieger, der sich gegen Alexander nach hinten umwendet. Auf der anderen Seite sieht man Alexander im Panzer, mit Lanze und mit einem federbesetzten Helm, den ihm auch in der zeitgenössischen Literatur zugeschrieben wird. Er wird von der schwebenden Siegesgöttin Nike bekränzt und hält selbst einen Blitz in der Hand. Der Blitz ist dem griechischen Zeus und ägyptischen Ammon entlehnt, als dessen Sohn sich Alexander seit 331 bezeichnete.

Originale Porträts Alexanders aus der Zeit der Diadochen

Auch die zeitlich nächste Alexanderdarstellung stattet den König mit Götterattributen aus: Sie finden sich auf Münzen, die kurz hintereinander in den Jahren seit 317 von Ptolemaios I in Ägypten geprägt wurden.  

Noch bevor Ptolemaios selbst im Jahr 306/5 v.Chr. den Königstitel annahm, zeigen seine Münzen den Kopf Alexanders mit einem Elefantenskalp bedeckt, der an seinen Indienfeldzug erinnert, und mit einem Stirnband. Es muss das Königsdiadem sein, welches Alexander als Insigne einführte.

Doch Alexander trägt das Diadem hier nicht um den Oberkopf, sondern um die Stirn geschlungen wie das Band, das Dionysos gewöhnlich trägt. Der Elefantenskalp geht unten in Schuppen über, die zur Ägis des Zeus gehören. Dieser geschuppte, mit Schlangen besetzte Umhang hat abwehrende Wirkung und weist hier auf die Herkunft Alexanders von Zeus Ammon hin. Zu diesem Gott gehört auch das kleine Widderhorn, das sich an der Schläfe unter dem Elefantenskalp abzeichnet und halb darunter hervortritt: eine Kombination von Attributen, die verschiedene Bezüge hat.

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MaussolosTheomorphes  

Die bekannteste Darstellung des Alexanderbildnisses findet sich allerdings erst zu Beginn des 3. Jahrhunderts v.Chr. auf Münzen des Seleukos bzw. des Philetairos. Mit dem flatternden Haar, der anastolé und dem emporgeworfenen Kopf wiederholen sie offenbar einen bekannten Typus des Alexanderbildnisses und wurden später vielfach nachgeahmt.

Kopien von zeitgenössischen Bildnistypen Alexanders

Zahlreiche rundplastische Porträts Alexanders sind erhalten, neben Werken hellenistischer Zeit vor allem solche, die in mehreren römischen Kopien überliefert sind, also offenbar sehr berühmt waren. In vier dieser Porträttypen vermutet die Forschung Bildnisse aus Alexanders Lebenszeit:

Typus Azara

Am bekanntesten ist der Typus Azara. Er ist u.a. in einer beschrifteten Herme im Louvre überliefert. Sie stammt aus einer Villa bei Tivoli mit einer sehr großen Sammlung von Porträts berühmter Griechen, die im 2. Jahrhundert n.Chr. errichtet wurden. Das namengebende Stück zeichnet sich durch eine strenge Form der anastolé aus

und hat ein recht kantiges Gesicht. Die Mundpartie und die zu starre Nase sind ergänzt. Als Kopie gibt die Herme Azara kaum mehr als den Motivbestand ihres Vorbildes wieder, der Ausdruck ist offenbar stark vom Stil ihrer Entstehungszeit bestimmt.  

Dasselbe Vorbild liegt aber auch späteren Neuauflagen zugrunde. Dazu gehört der überlebensgroße Kopf aus Pergamon in Istanbul. Die Anlage des Haares entspricht dem Typus Azara soweit, dass der Kopf als Alexanderporträt identifiziert werden kann. Er ist allerdings stark vom Stil des pergamenischen Hochhellenismus geprägt: Die stark plastischen Formen des Kopfes mit vorgewölbten Augen und Gesichtsknochen, leicht geöffnetem Mund, durchwühlten Haaren und lebhafter Drehung geben ihm einen pathetischen Ausdruck. Wieviel davon auf das Vorbild des späten 4. Jahrhunderts v.Chr. zurückzuführen ist, lässt sich nur schwer abschätzen.  

Auch die Darstellung Alexanders in der schon erwähnten spätrömischen Serie von Goldmedaillons aus Tarsos und Abukir geht wohl auf dieses Vorbild zurück. Mit den anderen Stücken dieses Typus verbinden auch ihn die stark ausgeprägte, wie ein Springbunnen emporsteigende anastolé und andere charakteristische Haarmotive. Wie beim pergamenischen Alexanderporträt bestimmt die Kopfwendung den Eindruck.  

Typus Schwarzenberg

Der Kopf aus der Sammlung Schwarzenberg in München muss auf ein bekanntes Vorbild zurückgehen, denn es gibt eine Replik des Oberkopfes in Privatbesitz. Eigentümlich an diesem Alexanderbildnis sind das breite Gesicht und sein Blick nach unten.

Typus Dresden

Der Kopf in Dresden und seine Wiederholungen werden in der archäologischen Literatur konventionell als Alexander angesehen. Diese Fassung hat mit den beiden anderen keine Ähnlichkeit, zeichnet sich aber durch besonders aufgesträubtes Haar aus.

Typus Akropolis-Erbach

Eine Benennung als Alexander ist auch beim Typus Akropolis-Erbach naheliegend, denn er trägt die charakteristische Frisur Alexanders. Dieser Typus ist jedoch in seinen Gesichtsformen der am wenigsten individualisierte von allen Alexanderbildnissen. Dagegen zeigt sich deutlich, dass dieser Entwurf ganz an attische Kunstgewohnheiten gebunden ist, wie ein Vergleich mit dem jugendlichen Kopf eines attischen Grabreliefs vom Ilissos veranschaulichen kann.

An den verschiedenen Typen und Fassungen von Alexanderporträts ist ihre Vielfalt beeindruckend. Sie ähneln einander kaum in den Gesichtsschnitt oder im Ausdruck. Ohne die charakteristische Frisur mit dem aufgeworfenen Stirnhaar wären sie nicht als Darstellung derselben Person zu erkennen. Spätere Porträts wirken oft romantischer: das Haar wird länger und lockiger, der Blick scheint schwärmerischer. Ein Beispiel dafür ist ein Alexanderkopf in Boston.

Figurentypen Alexanders

Alexander wurde nach dem Zeugnis der schriftlichen und archäologischen Quellen in vielfacher Gestalt wiedergegeben:

allein

− als Feldherr im Panzer mit Lanze oder Schwert  

− nackt, nur mit Lanze, Schwert oder beidem  

− bekleidet oder nackt auch mit Götterattributen: dem Blitz oder der Ägis des Zeus Ammon oder mit den Attributen anderer Götter  

− stehend oder zu Pferd  

mit anderen

− in literarisch überlieferten Skulpturengruppen, wie in der Gruppe mit Eltern und Großeltern im Philippeion von Olympia und in der Reitergruppe der Kämpfer der Schlacht am Granikos  

− in Schlachtszenen, z.B. dem berühmten Mosaik nach einem Alexanderschlachtgemälde aus der Casa del Fauno in Pompeji oder auf dem sog. Alexandersarkophag.

Der Kopf aus der Sammlung Schwarzenberg und die Herme aus der Sammlung Azara sind die Hauptkandidaten für das in der Antike berühmteste aller plastischen Alexanderbildnisse: Lysipps Alexander mit der Lanze, von dessen Ikonographie und Qualität kleinformatige Bronzen kaum eine hinreichende Vorstellung geben können.

Alexanders Kultbild als Gründer von Alexandria ist in vielen kleinformatigen Nachahmungen erhalten. Sie dienten offenbar entsprechenden kleineren Kulten des Stadtgründers. Ein verschollener Kameo, ehemals im Domschatz in Cammin, zeigte dieses Alexanderbildnis am ausführlichsten. Sie ist heute durch einen Abguss in Göttingen dokumentiert. Alexander trägt in diesem Bildtypus makedonische Militärschuhe (krepides), den langen makedonischen Militärmantel (chlamys), der hier zugleich die Ägis des Zeus ist, und hält in der Rechten eine Lanze. Auf der Linken hält er das Palladion, ein archaistisches Bild der behelmten lanzenschwingenden Athena, das als altes Bild der stadtbeschützenden Stadtgöttin von Troja symbolisch Städtegründer auszeichnet.

Der Figurentypus des Stadtgründers war auf dem Cameo Cammin mit dem Porträt eines römischen Herrschers versehen, das später noch einmal in das eines anderen umgearbeitet wurde. Zur ersten Fassung muss die Strahlenaureole gehört haben, die den Herrscher als sonnenähnlich auswies.

Probleme der Deutung von Alexanderporträts

Alexander und die hervorragenden Künstler, die für ihn arbeiteten, ließen sich beim Entwurf seines Bildnisses nicht von bestehenden Konventionen leiten, sondern präsentierten ein völlig neues Bild des jugendlichen Königs. Deshalb und weil dieses Bild ungemein einflussreich wurde, beschäftigen Fragen nach dem Sinn der einzelnen Züge die Forschung. Hauptfragen der Deutung sind:

− Was bedeutet die Bartlosigkeit Alexanders?  

− Wie sind Langhaarigkeit und anastolé zu erklären?  

− Lassen sich überlieferte Deutungen wie Löwenhaftigkeit der Haarmähne und hygron des Blicks als Darstellungsabsicht vermuten?

Und vor allem: Alexanderbilder ähneln sehr den Darstellungen junger Heroen und Götter. Besonders Apollon-Helios und die Dioskuren sind Alexander so ähnlich, dass bei einzeln erhaltenen Köpfen zwischen Alexander- und Götterdarstellungen keine sichere Unterscheidung möglich ist. Das gilt z.B. für den Kopf in Boston.

− Hat das Alexanderbild sich bewusst an die Bilder junger homerischer Helden angelehnt, mit deren Kenntnis Alexander aufgewachsen und von denen er tief beeindruckt war?  

− Hat das Alexanderbildnis sich bewusst an Götterbilder angelehnt, im Bestreben, seine seit dem Zug zum Ammonheiligtum in der Oase Siwa manifestierte Göttlichkeit zu verdeutlichen?  

− Wie wären dann wiederum Bildnistypen zu erklären, die anscheinend vor diesem Zeitpunkt entstanden?  

− Oder hat umgekehrt das Bildnis Alexanders die Götterdarstellungen beeinflusst?  

Insgesamt: handelt es sich um Konvergenzerscheinungen, also eine Zeitströmung, die Darstellungen Alexanders und jugendlicher Götter und Helden gleichermaßen erfasste?

Alle diese Meinungen werden diskutiert.

Bartlosigkeit, langes Haar und anastolé

Für die Untersuchung der drei Hauptzüge der Ikonographie Alexanders muss man zunächst entscheiden, ob diese schon den ersten Porträts Alexanders zuzuschreiben sind, die entstanden sein müssen, als er König wurde. Von dieser Annahme geht die Forschung aus.

1. Zur Bartlosigkeit:

Das Fehlen eines Bartes entsprach einerseits vermutlich dem Alter Alexanders, aber auch den griechischen Darstellungskonventionen für diese Altersgruppe. Alexander war bei Regierungsantritt 20 Jahre alt. Im Alter von 17-18 Jahren absolvierten junge Männer in griechischen Stadtstaaten die Ephebie, eine staatliche Ausbildung für den Kriegseinsatz. Junge Männer dieser Altersklasse sind ein beliebter Darstellungsgegenstand auf athenischen Grabreliefs und in der Kleinkunst. Sie sind immer bartlos dargestellt.

Demgegenüber wird man einer Nachricht, dass die Rasur des Bartes schon am Hof Philipps II von Makedonien vorgekommen sei, eher kritisch gegenüberstehen. Sie stammt von dem griechischen Historiker Theopompos, der am Hof Philipps gelebt, seine historischen Werke aber wesentlich später geschrieben hat. Die Bemerkung stammt aus einer polemischen Stelle zu sexuellen Praktiken und könnte, was die Rasur betrifft, eher aus der Perpektive der Zeit nach Alexander geschrieben sein, als Rasur zu einer verbreiteten Mode wurde.

2. anastolé:

Die anastolé ist das Motiv des über der Stirnmitte aufgesträubten und dann in der Art eines Springbrunnens zur Seite herabfallenden Haares. Sie ist ein besonderes und weit verbreitetes Merkmal spätklassischer, hellenistischer und römischer Götterfrisuren. Darum sah man sie immer als ikonographisches Kennzeichen, mit dem im Alexanderporträt Anspruch auf Göttlichkeit, Ähnlichkeit zu homerischen Heroen oder auch nur Löwenhaftigkeit erhoben wurde. Im Griechischen ist dieses Frisurdetail untrennbar mit langem Haar verbunden. Die anastolé war zunächst nichts anderes als eine moderne Form der Tragweise langen Haares, die ältere Mittelscheitelfrisuren ablöste.

Bereits der Kopf von dem nach 353 v.Chr. ausgeführten Maussolleion trägt das lange Haar in dieser Weise. Auch die Personifikation des athenischen demos aus dem Jahr 336 v.Chr., dem Todesjahr Philipps, trägt das Haar über der Stirn hochgesträubt. Dass es sich keineswegs um eine Frisur von Göttern, Halbgöttern und Königen handelt, belegen die athenischen Grabreliefs. Neuere Forschungen haben festgestellt, dass die dort dargestellten Männer sich grundsätzlich in drei Altersstufen einteilen lassen: bartlose Epheben mit kurzem Haar, ausgewachsene Männer mit kurzem Haar und Bart und schließlich alte Männer, die Bärte und langes Haar haben. Seit der Mitte des 4.Jahrhunderts v.Chr. ist diese Frisur oft als Haarkranz mit einer anastolé über der Stirn wiedergegeben.

Die Tragweise längeren Haares mit anastolé kam offenbar bei Götterbildern, Personifikationen und menschlichen Personen zur gleichen Zeit auf. In sich selbst hatte sie keine eindeutige oder spezifische Bedeutung.

3. Langes Haar:

Das eigentliche Problem liegt also im langen Haar Alexanders. Angesichts von Alexanderporträts wie den Typen Schwarzenberg und Dresden kann man zwar nicht von wirklich langem Haar sprechen, aber es ist doch wesentlich länger, als es Philipp II und die zeitgenössischen Griechen trugen. Um eine typisch makedonische Haartracht kann es sich nicht gehandelt haben, denn Hephaistion, Alexanders engster Freund, mit dem er mehrfach zusammen in Gruppen dargestellt wurde, trug kurzes Haar wie die jungen griechischen Männer.

Mit langem Haar konnten mehrere Bedeutungen verbunden sein:

– Langes Haar war in archaischer Zeit getragen worden. In der Folge galt es im demokratischen Athen als Kennzeichen von Personen mit aristokratischen (tendenziell antidemokratischen) Neigungen. Politisch in dieselbe Richtung ging es, dass die Spartaner ihr Haar weiterhin lang getragen haben sollen.  

− Etwa in dieselbe Richtung wiesen auch die langhaarigen Frisuren einer modischen Jugend mit Luxusgewohnheiten am Ende des 5. Jahrhunderts v.Chr. in Athen. Alkibiades war einer von ihnen und soll langes Haar getragen haben. Ein spätantikes Porträtfragment in Aphrodisias zeigt ihn bartlos, leider ist das Haar nicht erhalten. Einen Jungmännertypus mit längerem, gesträubtem Haar zeigen Vasenbilder des späten 5. Jahrhunderts v.Chr., doch fragt es sich, wie diese mit der Realität getragener Frisuren und dann mit den Darstellungskonventionen für Bildnisse zu verbinden sind.  

− Schließlich sind neben den Göttern die homerischen Helden typische Träger langen Haares. Die jugendlichen und bartlosen unter ihnen wie Achilleus könnten, so hat die Forschung vermutet, Alexanders Vorbild gewesen sein.  

− Doch hat man bisher nicht die Privatporträts des 4. Jahrhunderts v. Chr. in die Betrachtung einbezogen, da diese noch unzureichend erforscht sind. Es bleibt abzuwarten, ob die im 4. Jahrhundert v.Chr. getragenen und dargestellten Frisuren vielfältiger waren als die drei Altersgruppen auf den athenischen Grabreliefs bisher erkennen lassen.  

Vielleicht waren die Porträts zu Beginn von Alexanders Regierungszeit zwar eigenwillig, aber nicht anspruchsvoll. Mit zunehmenden Erfolgen und der zugehörigen Legendenbildung sind sie jedoch zweifellos immer mehr als Zeichen eines über das Menschliche hinausgehenden Wesens aufgefasst worden. Und spätere Entwürfe aus Alexanders Lebenszeit wie der Typus Azara mögen dieses Naturell durch kranzartig frisierte Haare, die Haarlänge, eine monumentalisierte anastolé und ähnliche Züge immer stärker herausgearbeitet haben. Festzuhalten aber bleibt, dass das lange Haar Alexanders niemals eine verbreitete Modefrisur wurde. Im Hellenismus diente die Bildprägung dagegen immer wieder zu gezielten Rückgriffen und Berufungen auf den mythischen Welteroberer.

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