Hellenistische Herrscherköpfe

Die Porträts der ersten Könige (Diadochen)

Die Gestaltung der Porträtköpfe gerade der ersten Könige war revolutionär im Vergleich zu den athenischen Porträts des späten 4. Jahrhunderts v.Chr., die immer noch weitgehend der Norm des Bürgerideals verpflichtet waren. Die Generäle Alexanders waren in fortgeschrittenem Alter, als sie den Königstitel annahmen. Im Umgang mit Alexander hatten sie die Mode des Rasierens übernommen. Die Porträts zeigen ihr Alter, erweisen sie durch bewegte Mimik als energieerfüllte Persönlichkeiten und geben darüber hinaus deutlich individuelle Züge der Physiognomie wieder.

Der Bronzekopf Seleukos“ I (306/5−281 v.Chr.) aus der Villa dei Papiri bei Herculaneum in Neapel ist durch eine eigenartige Mischung neuer hellenistischer und individueller Gestaltungselemente gekennzeichnet. Die eckige Kopfform und die enorm vorgezogene Stirnmitte sowie die tiefen Augenhöhlen und die geöffneten Lippen sind eigentlich unpersönliche Elemente einer neuen pathetischen Darstellungsform. Die markanten, energischen Falten im Untergesicht, dessen Proportionierung und Mundbildung sowie die eng stehenden Augen in den tiefen Augenhöhlen geben dem Bildnis aber ein sehr persönlich wirkendes Aussehen. Das Haar ist ähnlich wie bei Alexander halblang und wie vom Wind verwirbelt. Entsprechend stark individualisiert ist das Porträt Ptolemaios“ I (306/5−283 v.Chr.) aus Ägypten in Kopenhagen, dessen fragmentierte Form durch die Wiederverwendung eines älteren Stückes bedingt ist. Nicht nur einige Elemente, sondern die gesamte Gesichtsform ist hier individualisiert.

Ebenso markante Vertreter dieses Realismus sind auch die Porträts des Philetairos von Pergamon (280−263 v.Chr.) aus der Villa dei Papiri in Neapel und das Porträt Antiochos“ III (223−187 v.Chr.) im Louvre. Während das Porträt Philipps II von Makedonien, des Vaters Alexanders d.Gr., zwar durchaus Alterszüge aufwies, sonst aber eher wie der gleichzeitige Faustkämpfer aus Olympia stark von den Normen der Spätklassik bestimmt war, ist bei den Diadochen der Bezug auf klassische Normierungen aufgegeben.

Das Porträt des Demetrios Poliorketes (306/5−283 v.Chr.) in Neapel, das ebenfalls in der Villa dei Papiri gefunden wurde, ist dagegen das eines jugendlich schönen Mannes. Das mag der Realität entsprochen haben: Das Geburtsjahr des Demetrios ist zwar nicht bekannt; doch als Sohn des Antigonos Monophthalmos (ca. 381−301 v.Chr.) könnte er bei der Annahme des Königstitels tatsächlich noch jung gewesen sein. Wie schon Alexander und nach ihm andere hellenistische Herrscher behielt er den jugendlichen Porträttypus auch in späteren Jahren bei. In einer Zeit ausgeprägter Vorliebe für realistische Darstellung hat man allerdings am Ende nicht darauf verzichtet, zumindest auf Münzen in das Gesicht leichte Falten einzutragen.

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 Klassik: 4. Jahrhundert v.Chr.
Alexander d.Gr.
Theomorphes
  

Königsikonographie?

Trotz des furiosen Beginns hat sich für die Bildnisköpfe der hellenistischen Herrscher keine spezielle Norm herausgebildet. Die verschiedenen Dynastien entwickelten bevorzugte Images, wie etwa die mageren Familiengesichter der Seleukiden und die kurzhaarigen faltigen Porträts der Könige von Pontos, doch konnten diese Traditionen immer wieder auch durchbrochen werden. Trotz der verbreiteten Herrscherkulte gab es kein verbindliches „Porträt des Königs“, das ihn als ein Wesen eigener Art bezeichnete, wie dies in der Spätantike zu beobachten ist. Tendenziell blieben die Könige in der Gestaltung ihrer Porträtköpfe hellenistische Bürger und Militärs.

Ein bezeichnender Fall dieser Art ist etwa das frühe Porträt des Antiochos IV (175−164 v.Chr.) in Berlin. Antiochos war ein energischer Herrscher, der Ägypten unter seine Herrschaft brachte und von den Römern mit Gewalt zur Umkehr gezwungen wurde. Mit der feinen Individualisierung und dem ruhigen Ausdruck könnte sein frühes Porträt ohne weiteres das Bildnis eines Literaten oder einfachen Bürgers sein. Vergleichbar ist das Porträt eines rhodischen Bürgers aus dem 2. Jahrhundert v.Chr. Nur die geöffneten Lippen verleihen dem Porträt des Antiochos einen leicht pathetischen Zug.

Erst die metaphorische Bildsprache, die sich der nackten Körper und der Ausstattung mit Götterattributen bedient, hob die Porträts der Herrscher über die ihrer Zeitgenossen heraus.

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 Theomorphes
Funktionen: Herrscherstatuen
Bürger
Philosophen
Redner & Dichter
  

Verschiedene Leitgedanken und Gestaltungsmerkmale

Allerdings gab es verschiedene Leitgedanken, auf die wiederholt zurückgegriffen wurde. Das hatte zur Folge, dass auch gewisse Gestaltungsmerkmale wiederkehrten:

Energie

Realistische Züge mit der Wiedergabe von Altersmerkmalen und einer energischen Mimik waren eine Option, die sicher auf Erfahrung, militärische Schlagkraft und Leistungsfähigkeit hinweisen sollte. Antiochos III stellt ein ausgeprägtes Beispiel dieser Art dar. Eine Reihe der seleukidischen Porträts, aber nicht alle, folgten solchen Modellen. Die Könige von Pontos an der Südküste des schwarzen Meeres hingen diesem Porträtideal ganz besonders an und trugen dazu kurzgeschnittenes Haar. Auch im fernen Baktrien ließen die Könige sich mit wirklichkeitsnahen Formen und energischer Mimik darstellen. – Die Ptolemäer hingegen, von denen allerdings mehrere in jungen Jahren zur Regierung kamen, ließen sich gern jugendlich bzw. alterslos und ohne energische Mimik darstellen.

Tryphe

Ausgesprochen fettleibige Herrscherbilder finden sich vor allem bei den Ptolemäern. Ein eindrückliches Beispiel ist das Porträt Ptolemaios“ III (246−221 v.Chr.) in Alexandria. Solche Herrscherbilder sind Ausdruck des Ideals der tryphe, das gerade viele Ptolemäer für sich beansprucht haben. Tryphe hat die Bedeutung von „Üppigkeit, Verwöhntheit“ usw. und spielt auf ein Ideal des Genusslebens an, für das – wie einst im alten Ionien – auch Fettleibigkeit ein anerkannter Ausdruck sein konnte.

An eine andere Seite der tryphe konnte das jugendlich−schöne Porträt des Demetrios Poliorketes erinnern. Obwohl er ein höchst bedeutender Feldherr war (daher sein antiker Beiname Poliorketes, Städtebelagerer), lebte er in einer Zeit, in der auch gestandene Männer, wie sein zeitweiliger Gegenspieler Demetrios von Phaleron, sich schminkten und ihr Haar blond färbten (Athenaios, Deipn. 12, 542 d).

Alexanderhafte Stilisierung

Auch der Bezug auf das Bild Alexanders war eine Option. Manche Herrscher führten zugleich den Beinamen „Alexander“. Bei anderen war die Übernahme von Elementen der Alexanderikonographie Ausdruck eines gesteigerten Anspruchs, der inhaltlich durchaus verschieden gefüllt sein konnte.

Dieser Bezug wurde am einfachsten durch eine Alexanderfrisur ausgedrückt; aber auch Verjüngung der Bildniszüge ist bezeugt. Das prägnanteste Beispiel für beide Veränderungen sind die Münzporträts des Mithradates VI von Pontos (120−63 v.Chr.). Mithradates stellte sich die Aufgabe, den griechischen Osten gegenüber den Römern wieder stark und unabhängig zu machen. Er trat damit als ein neuer Alexander auf und stilisierte sein Bild entsprechend: Im Gegensatz zu seinen kurzhaarigen Vorgängern mit realistischen Gesichtszügen ließ er sich einigermaßen jugendlich und mit langer Alexandermähne darstellen. In einer späteren Version ließ er die Alexanderzüge noch kräftiger auftragen. Die Haare erhielten nun eine wirkliche anastole über der Stirn. Leichte Züge einer gealterten Physiognomie, wie Tränensäcke und leichte Nasolabialfalten, die beim frühen Porträt vorhanden waren, wurden getilgt.

Ein anderes Beispiel ist das Porträt eines Herrschers aus Pergamon in Berlin, dessen Benennung umstritten ist. Der Kopf trug schon von Anfang an längeres Haar in der Art Alexanders, das allerdings dem Kopf eng anlag. Diese Frisur war anscheinend nicht aussagekräftig genug. In einer zweiten Phase wurden deshalb gesondert gearbeitete, aufgesträubte Haarmassen über der Stirn und an den Schläfen angesetzt. Dabei wurde das schon in der ersten Fassung angelegte Diadem zum Teil überlagert. Sein Rand musste an den angestückten Teilen neu gearbeitet werden.

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 Alexander d.Gr.
Stilisierungen
Athenaios, Deipn. 12, 542 d 

Augen

Um Herrscher doch als charismatische Wesen erscheinen zu lassen, entwickelte man eine ungewöhnliche Bildformel: Man stellte ihre Augen übergroß, kreisrund, ja sogar fast kugelförmig dar. Diese Form trifft man beispielsweise beim Porträt des Ptolemaios I in Kopenhagen. Besonders ausgeprägt ist sie auf den Münzen, die Ptolemaios II und Arsinoe II sowie deren divinisierten Eltern zeigen. Auf solchen Augen müssen kreisrunde Pupillen gesessen haben, die entgegen der Natur nicht von den Lidern überschnitten wurden. Solche Augen hat die Personifikation der Seeherrschaft auf einem Mosaik aus Thmuis in Alexandria. Der einzigartig starrende, gleichsam hypnotisierende Blick dieser Porträts muss die Betrachter in ihren Bann geschlagen haben.

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 Funktionen: Herrscherstatuen