Bürgerinnen und Königinnen in klassischer und hellenistischer Zeit

Wie in der Zeit der Archaik finden sich in klassischer Zeit und im Hellenismus Frauenporträts im Zusammenhang von Grabmonumenten und Weihgeschenken in Heiligtümern. Von Ehrungen durch öffentlich aufgestellte Bildnisstatuen waren Frauen lange ausgeschlossen, da sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position, die sie ans Haus band, keine Verdienste um die kollektiven Belange erwerben konnten. Eine der interessantesten Entwicklungen der griechischen Porträts findet darum lange Zeit unter Ausschluss der Frauenporträts statt: Individualisierung ist in klassischer Zeit nur an Porträts von Männern zu beobachten. Bis zum Ende der klassischen Zeit blieben die Bildnisse von Frauen dem Ideal zeitloser Schönheit verpflichtet.

Die Rollen von Frauen, die bei der Gestaltung ihrer Porträts berücksichtigt wurden, differenzierten sich in der Zeit des Hellenismus, als Frauen erstmals (meist religiöse) Ämter übernahmen, in gewissem Umfang erbberechtigt waren und deshalb über größere Geldsummen verfügen konnten. Als Wohltäterinnen (Euergetinnen) machten sie sich durch Stiftungen um ihre Heimatstadt verdient und trugen damit gleichzeitig zum Prestige ihrer Familie bei. Die Ehrenstatuen, die sie für diese Tätigkeiten erhielten, bildeten sie denn auch häufig im Kreise ihrer Familie ab. Erstmals finden sich individualisierte Porträts bei den hellenistischen Königinnen. In vereinzelten Fällen ist zu erkennen, dass diese Art der Gestaltung bei Porträts von Bürgerinnen aufgenommen wurde.

Spätklassische Bildnisse von Frauen

Die Porträts von Frauen spätklassischer und hellenistischer Zeit sind heute meist nur aus ihrem Kontext aus solche zu erkennen und von anderen Frauendarstellungen zu unterscheiden. Für den antiken Betrachter kamen zu ihrer Identifizierung noch Inschriften zu Hilfe, die heute meist fehlen. In der Regel waren die Frauenbildnisse nicht oder nur zurückhaltend individualisiert; auch zeitgebundene Modefrisuren waren nicht üblich. Beispiele in der Göttinger Sammlung illustrieren einige der Möglichkeiten:

Die Frauenbildnisse auf einem athenischen Grabrelief der Mitte des 4. Jahrhunderts v.Chr. in Athen sind wie alle anderen Frauen− und Männerporträts in dieser Gattung unpersönlich gehalten und tragen eine einfache Knotenfrisur mit Mittelscheitel. Auf einem spätklassischen Weihrelief an Asklepios sind in der rechten Bildhälfte die Figuren der anonymen Stifter zu erkennen. Auch hier hat die Frau ebenso wie die Männer unpersönliche Züge.

Gleiches gilt auch für ein Weihrelief an Zeus aus den Jahren 351−344 v.Chr., das in Tegea gefunden wurde. Hier erfährt man nur aus den Inschriften, dass es sich bei den beiden dargestellten Weihenden um bekannte historische Persönlichkeiten handelt, nämlich um Idrieus und Ada, die jüngeren Geschwister des karischen Dynasten Maussolos. Die Frisur der Ada, bei der sich die Haare über der Stirn kranzartig bauschen, entspricht ebenso wie ihr rundliches Gesicht dem allgemeinen Frauenbild der Zeit.

Eine interessante Ausnahme bildet ein überlebensgroßes Frauenbildnis aus dem Athenatempel von Priene, dessen Lockenkranz über der Stirn bei Bildnisköpfen vom Maussoleion von Halikarnassos wiederkehrt. Es liegt nahe, in der Dargestellten ein Mitglied der Familie des Maussolos zu sehen; man hat an dieselbe Ada gedacht, die auf dem Weihrelief dargestellt ist. Der starre Lockenkranz könnte tatsächlich eine Frisurenmode wiedergeben, wie sie bei den Hekatomniden üblich war, das Gesicht ist wiederum ideal gehalten.

Hellenistische Königinnen und Bürgerinnen

Schon von Anfang an kann man jedoch bei den frühhellenistischen Königinnen bei aller Wahrung des Schönheitsideals eine behutsame Individualisierung erkennen. Sie ist an den Münzbildnissen – und übrigens auch an den rundplastischen Porträts – der Arsinoe III von Ägypten (221−204 v.Chr.) zu erkennen: an der Form der Nase, der fein ausgestalteten Mundumgebung und dem kleinen Kinn. Leichte Alterszüge sind am Münzbildnis der Laodike, der Frau Mithradates IV von Pontos (169−150 v.Chr.) zu erkennen: ein Doppelkinn und Falten, die von den Nasenflügeln ausgehen und neben den Mundwinkeln liegen. Das entspricht den realistischen Elementen in der Darstellung des Mithradates IV und anderer Könige von Pontos – leider sind ihre interessanten Bildnisse nur durch die Münzen bekannt.

Individualisiert ist auch das Porträt der Kleopatra VII (51−30 v.Chr). Es ist wegen des Diadems als Bildnis einer Königin zu identifizieren. Das Diadem hat die sehr breite späthellenistische Form. Durch den Vergleich mit Münzbildern ergibt sich die Benennung als Kleopatra. Trotz des schmalen Gesichts wirkt Kleopatra etwas pausbäckig, sie hat auffallend volle Lippen und eine gebogene Nase. Sie trägt eine im Hellenismus beliebte Frisur, bei der einzelne Haarsträhnen durch Scheitel getrennt, eingedreht und nach hinten zu einem Knoten zusammengeführt werden („Melonenfrisur“). Die elaborierten Modefrisuren, die die Römerinnen zur selben Zeit bereits zu tragen begannen, spielten für Kleopatras Selbstdarstellung keine Rolle.

Die individualisierte Gestaltung der Porträts von Königinnen war aber nicht verpflichtend, so dass sie bei weniger sorgfältiger Ausführung und bei Darstellungen kleinen Formats ganz entfallen konnte. Auf dem Relief des Archelaos von Priene mit einer kultischen Verehrung Homers wird der thronende Dichter von zwei Figuren bekränzt, die hinter ihm stehen und durch Attribute und Beischrift als Chronos (= Zeit) und Oikumene (= bewohnte Welt) bezeichnet sind. Sie tragen Porträts eines hellenistischen Königspaares, das als solches am Einschnitt für ein gemaltes Diadem im Haar des Mannes erkennbar ist. Der König hat ein fülliges und leicht individualisiertes Gesicht. Die Königin trägt auf dem Kopf einen Aufsatz, der von der Göttermutter Rhea/Kybele entlehnt ist. Sie hat keine individualisierten Gesichtszüge und dieselbe Frisur wie eine der nicht modern ergänzten Musen im oberen Teil des Reliefs.

Die sehr lückenhafte Überlieferungslage erlaubt es nicht, die einzelnen Etappen der Entwicklung nachzuzeichnen, die schließlich zur generellen Einführung von Individualporträts für Frauen führte.Dass dies schon im 2. Jahrhundert v.Chr. möglich war, erweist das Grabrelief einer Priesterin der Göttin Demeter aus Smyrna in Berlin, das dieser Zeit angehört. Die Dargestellte trägt eine schlichte Frisur mit Mittelscheitel. In die Wangen und seitlich der Mundwinkel sind Altersfalten eingetieft, eine individualisierende Abweichung von der Konvention zeitloser Jugendlichkeit. Diese Kennzeichnung könnte bei einer Priesterin als positives Zeichen ihrer Würde gegolten haben.

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