Porträts von Rednern und Dichtern

Ein Redner: Demosthenes

Der Kopftypus des Demosthenes (384−322 v.Chr.) ist durch beschriftete Exemplare identifiziert. Die Statue, die dem frühen Hellenismus angehört, lässt sich mit einer Statue auf der Athener Agora identifizieren, die 42 Jahre nach dem Tod des Demosthenes auf Veranlassung seines Neffen Demochares errichtet wurde. Einer Anekdote zufolge hatte sie gefaltete Hände, in die jemand Geld zur Aufbewahrung legen konnte. Auch die Inschrift ist überliefert: „Wenn deine Macht deiner Einsicht entsprochen hätte, dann würde niemals der makedonische Ares über die Hellenen herrschen“.

Diese Porträtstatue des Demosthenes aus dem Jahr 280 v.Chr. enthält gegenüber der des Aischines aus dem letzten Jahrzehnt des 4. Jahrhunderts v.Chr. neue Aussagen. Auch Demosthenes ist in der für das 3. Jahrhundert v.Chr. geläufigen, durch senkrechte und waagrechte Kompositionslinien bestimmten Form dargestellt. Diese verleihen zugleich dem Ganzen einen einfachen und herben Anstrich. Dazu passt der gealterte Körper: die welke Haut, der gebeugte Rücken, der trotz des mageren Körpers deutlich sichtbare Bauch.

Das Gesicht zeigt Züge stärkster Anspannung oder Konzentration. Die Arme und die gefalteten Hände sind eng am Körper versammelt. Solche Gesten sind, ebenso wie die gesamte Haltung schwer zu deuten. Die Forschung hat die Haltung auf Grund der Inschrift lange im Sinne der Resignation des gescheiterten Politikers verstehen wollen. Neuerdings wird eher vermutet, sie solle die Beherrschtheit des Redners Demosthenes verdeutlichen, dem man zu Lebzeiten das Gegenteil vorgeworfen hatte. Nach neueren Forschungen ist es sogar möglich, die Statue als späte Antwort auf Vorwürfe der Effeminiertheit und Künstelei zu verstehen, die man ihm sein

Leben lang gemacht hat: daher die strenge Haltung, der ungekünstelt gealterte Körper, das Fehlen des Chitons, das nach den Konventionen der klassischen Ikonographie auf Körpertüchtigkeit hinwies.

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DemosthenesKopf & Körper
Fiktive Porträts
Ps.Plut., Vit.X orat., Demosth. 847a Plut.,Demosth. 30,5-31,1 

Die großen Dichter vergangener Zeiten, allen voran Homer, wurden in Alexandria und anderen Orten als Heroen kultisch verehrt. Ein anschauliches Zeugnis dafür ist das Weihrelief eines Archelaos von Priene im Britischen Museum (London). Am Fuß eines Berges, Sitz des Zeus und der Musen, sieht man eine Statue Homers thronen, umgeben von ihm huldigenden Personifikationen der Dichtung und Weisheit. Hinter Homer stehen ein hellenistischer König und eine Königin, die durch Attribute und Beischriften als Chronos („Zeit“/“Ewigkeit“) und Oikumene („bewohnte Erde“) bezeichnet sind.

Ein Dichter: Menander

Die Benennung der Porträtköpfe Menanders (342/1−293/2 v.Chr.) ist durch ein beschriftetes Exemplar, die Zusammengehörigkeit von Kopftypus und Statuentypus durch zusammenpassende Gewandteile gesichert. Die Göttinger Rekonstruktion verbindet eine Statue in Neapel mit einer Büste in Venedig, die sich exakt in die Statue einpassen ließ. Hinzu kommt der maßgenaue Nachbau des originalen Sockels der von Pausanias erwähnten Menanderstatue im Dionysostheater in Athen, der sich heute noch dort befindet. Der Abguss der Inschrift ist eingefügt. Die Kopf− und Fußprofile sind modern.

Im Gegensatz zu den Philosophen war Dichtern eine Neigung zum Wohlleben erlaubt und konnte auch im Bild ausgedrückt werden. Die Statue des Komödiendichters Menander im Athener Dionysostheater muss irgendwann nach seinem durch einen Unglücksfall verursachten Tod entstanden sein. Menander, der um 300 v.Chr. zur durchaus effeminierten Luxusgesellschaft Athens gehörte, sitzt auf einem dicken weichen Kissen in üppigem, weit gezogenem Gewand. Er hat die in der Alexanderzeit aufgekommene neue Mode der Rasur übernommen. Menander sollte wahrscheinlich vor allem als Vertreter einer luxuriösen Lebenshaltung gekennzeichnet werden.

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 Kopf & KörperPausanias 1,21,1 

Dem Kopftypus Menanders sieht man noch einen gewissen Zusammenhang mit spätklassischen Köpfen wie dem von einer athenischen Grabstatue aus den Jahren um 310 v.Chr. in Berlin an. Das bezieht sich auf die Grundform, die jedoch gänzlich durch individualisierende Elemente wie die Falten, die Mimik, die tief hinterarbeiteten Augen und den geöffneten Mund überlagert ist – ganz anders als bei den Epikureerporträts, deren Gestaltung dem Normtypus näher steht.

Ein Dichter: Poseidipp

Ähnlich mag auch die Darstellung eines sitzenden Dichters im Vatikan gemeint gewesen sein, den die Inschrift auf der Plinthe als Poseidippos bezeichnet. Ob damit der Komödiendichter oder der bekannte Epigrammatiker gemeint ist, die beide in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v.Chr. gelebt haben, ist unbekannt. Klaus Fittschen hat erkannt, dass der Kopf dieser Statue in spätrepublikanischer Zeit in das Porträt eines Römers umgewandelt wurde. Die Rückseite wies jedoch weiterhin das Haar der ersten Fassung auf. Sie erlaubte es, den ursprünglichen Kopftypus zu identifizieren, der in weiteren Wiederholungen überliefert ist.

Der Dichter ist vielleicht beim Erproben des Versrhythmus (Skandieren) gezeigt. Für die neuen Charakterisierungsmöglichkeiten ist es bezeichnend, dass er beleibt ist. Es war dem Dichter und Mann des Wortes jetzt offensichtlich nicht mehr abträglich, physisch nicht den Normen zu entsprechen. Im Gegenteil: seine Gestalt zeugte offenbar von seiner dem Genuss zuneigenden Lebenseinstellung.

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 Kopf & Körper  

Spätere hellenistische Dichter

Im 2. Jahrhundert v.Chr. wurden die großen künstlerischen Erfindungen des 3. Jahrhunderts v.Chr. nur noch wenig fortgesetzt. Der machtvoll seine Lyra schlagende und unmutige (?) Dichter in Kopenhagen ist in verschränkter Haltung dargestellt, die die Konzentration des Sängers verdeutlicht. Zusammen mit dem gealterten, aber kräftigen Körper sind dies starke Ausdruckselemente, die der Darstellung Wahrheit und Pathos zugleich verleihen.

Retrospektive Porträts vermutlich des 2. Jahrhunderts v.Chr., wie die hellenistische Fassung des blinden Homer und ein viel kopiertes Bildnis eines anderen berühmten Mannes, in dem man Hesiod vermutet hat, steigern die Aussage zu hohem Pathos. Homer wirkt mit seiner gepflegten Frisur wie ein Dichterfürst, der jedoch von hohem Alter gebeugt ist und mit seinen leeren Augen etwas Seherhaftes bekommt. Hesiod wäre, wenn die Identifizierung richtig ist, durch zottelig vernachlässigtes Haar und unregelmäßigen Bartwuchs als bäurisch gekennzeichnet, wirkt aber zugleich durch die intensive psychische Bewegtheit inspiriert.

In diesen Darstelllungen von Personen, bei denen das nicht Normhafte zur positiven Aussage beitrug, liegen sicher die interessantesten Aussageformen des antiken Porträts vor. Dabei müssen gerade bei diesen Gestalten die nicht erhaltenen Körper wesentlich zur Charakterisierung beigetragen haben.

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 Fiktive Porträts Material und Quellen
Datierungen und Interpretationen
Rekonstruktionen, Datierungen