Griechen und Römer: Porträts im hellenistischen Osten und Rom

Die Porträts des 2. und 1. Jahrhunderts v.Chr. bieten ein besonders vielfältiges Bild. Angesichts der divergierenden Gestaltungsmöglichkeiten erhebt sich die Frage nach deren Bedeutung und nach den Regeln, aufgrund derer man sich für eines der Modelle entschied. Späthellenistische Porträts entstanden in einer historischen Phase, in der Rom zur neuen Vormacht wurde. Die Römer spielten seit 190 v.Chr. eine zunehmend wichtige Rolle im östlichen Mittelmeer. Dieser römische Einfluss steigerte sich seit der Einrichtung der Provinzen Asia und Macedonia in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts v.Chr. Historische Quellen berichten in dieser Zeit nicht nur von Porträtstatuen in Orten des hellenistischen Ostens, sondern auch von der schnell zunehmenden Zahl von Bildnissen in Rom. Darum schien es eine naheliegende Lösung, die erhaltenen Porträts auf eine „griechisch-hellenistische“ und eine „römisch-republikanische“ Gruppe zu verteilen. Dafür schien es gute Anhaltspunkte zu geben:

Mit wenigen Ausnahmen kennt man römisch-republikanische Porträts erst aus dem 1. Jahrhundert v.Chr. Schon immer war deutlich, dass es aus dieser und der augusteischen Zeit auffallend viele ausgeprägte Altmännerporträts mit finster-energischer Mimik gibt. Daraus schloss die ältere Forschung, dass es eine genuin „römische Porträtkunst“ gab, die dem gesellschaftlichen Ideal des erfahrenen Alten verpflichtet war und eine besondere Neigung zu Realismus hatte. Allerdings sind nicht wenige Porträts prominenter republikanischer Persönlichkeiten bekannt, die sich nicht „realistisch-römisch“ sondern eher „pathetisch-hellenistisch“ geben, wie etwa das des Pompejus. Zur Erklärung nahm man an, dass sich nur bestimmte Mitglieder der Führungsschicht an hellenistischen Modellen orientiert hätten.

Da eine allzu schematische Einteilung der komplexen Überlieferung offenbar nicht gerecht wird, wurde diese Lehrmeinung bereits scharf kritisiert. Das aus dieser Kritik erwachsene Gegenmodell sieht die republikanischen Porträts insgesamt als lokale Varianten hellenistischer Vorgaben. Die Problematik hat sich auch in Diskussionen über die Frage niedergeschlagen, ob einzelne Porträts Griechen oder Römer darstellen.Inzwischen ist die Erkenntnis gereift, dass diese hier nur pauschal dargestellte Diskussion neu eröffnet werden muss, wobei auch die alten Gegensatzpaare in Frage zu stellen sind. Einige Fragen werden im Kapitel über die republikanischen Porträts weiterverfolgt. Hier sind diese kurzen Bemerkungen nur dazu da, die Herkunft aktueller Themen der Forschung zu späthellenistischen Porträts zu erklären, die im Folgenden an einigen herausragenden Beispielen erörtert werden sollen.

Aus der Gegenüberstellung von „realistisch-römischen“ und „pathetisch-hellenistischen“ Porträts ergab sich die Frage, wie Porträts zu erklären sind, die sich nicht eindeutig einer der beiden Gruppen zuordnen lassen. Eine Möglichkeit ist, dass hellenistische Porträts mit deutlichen Alterszügen, einer gewissen Härte der Mimik und kurzem Haar römische Porträtideale rezipieren. Die Diskussion ist inzwischen durch den Vorschlag noch zugespitzt worden, dass gesicherte Porträts von Griechen mit „realistischen“ Zügen die Porträts von Sympathisanten der Römer seien. In der Tat bezeichnen sich einige späte Machthaber, an deren Bildnissen sich eine entsprechende Gestaltung beobachten lässt, selbst als philorhomaioi (=Römerfreunde).

Andererseits waren realistische Gestaltungsweisen und kurzes Haar bei einigen Königen, z.B. von Pontos und in Baktrien, offenbar immer schon üblich. Ein Porträt in Athen ist wegen des langen Haares und des Kranzes mit den schmalen spitzen Blättern als das Bildnis eines Mitgliedes der Priesterschaften der eleusinischen Demeter zu bestimmen, die aus uralten athenischen Familien stammten. Lässt dieses Gesicht mit den deutlichen Alterszügen tatsächlich auf einen Römerfreund schließen?

Ein Porträt im Louvre ist eine von mehreren römischen Kopien eines verlorenen Originals. Dieses wird aus stilistischen Gründen gewöhnlich in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts v.Chr. datiert. Das Porträt wurde aufgrund eines Münzvergleichs lange auf einen der führenden Politiker des 2. Jahrhunderts v.Chr. bezogen, A. Postumius Albinus, Konsul im Jahr 151 v.Chr. Ein Münzmeister mit dem Cognomen Albinus setzte dessen Bildnis 48 v.Chr. auf die von ihm herausgegebenen Münzen, um an Verdienste seiner gens zu erinnern. Heute zweifelt die Forschung an der Beweiskraft dieses Vergleichs und fragt eher, ob das Porträt auch einen anderen Römer dieser Zeit oder vielleicht doch einen Griechen darstellen könnte.

Dieselben Unsicherheiten bestehen bei einem Porträttypus, der bisher nicht benannt werden kann. Die Existenz mehrer Wiederholungen deutet darauf hin, dass es sich um das Porträt eines berühmten Mannes handeln muss; eine Replik guter Qualität befindet sich in Kopenhagen.

Es gibt einige Anhaltspunkte zu einer näheren Einordnung des Bildnistypus: Ein Exemplar trägt einen Efeukranz; ein weiteres ist in einer Doppelherme mit dem sog. Hesiod kombiniert. Das legt nahe, dass es sich um einen Dichter handelt. Die vorgeschlagenen Datierungen reichen vom 3. Jahrhundert v.Chr. bis in augusteische Zeit − was ein eindrückliches Zeugnis dafür ist, dass sich die Forschung bisher kaum über die Grundzüge der hellenistischen Formentwicklung einigen konnte. Die Benennungsvorschläge reichen von dem Griechen Theokrit (1. Hälfte 3. Jahrhundert v.Chr.) zu den Römern Ennius (239-169 v.Chr.) und Vergil (70-19 v.Chr.). Der Typus wurde auch in tönernen Reliefköpfchen in Athen kopiert, wohl ein Indiz dafür, dass ein Grieche dargestellt ist.

Zwei in ihrer Zeit sehr bekannte Griechen können hingegen als wirkliche philorhomaioi gelten. Ihre Porträts lassen sich auch mit den eher hellenistisch orientierten Porträts der Republik vergleichen, die wenig ausgeprägt „realistisch“ wirken.

Ein Kopf in Pergamon ist in einer kleinen Kultstätte mit eigenem Auditorium gefunden worden, die ursprünglich in späthellenistischer Zeit ausgestattet wurden. Er stellt höchstwahrscheinlich Diodoros Pasparos dar. Dieser reiche Pergamener bewirkte in den siebziger Jahren des 1. Jahrhunderts v.Chr., dass die Römer seine Heimatstadt von einer ruinösen Besteuerung befreiten, die sie ihr nach den Mithradateskriegen auferlegt hatten. Wegen dieser und anderer Verdienste erhielt Diodoros Pasparos zahlreiche Ehrungen sowie die Einrichtung eines Kults, dessen Kultstätte man gefunden zu haben glaubt. Mit seiner verhaltenen Mimik, den leichten Alterszügen und der starken Stofflichkeit der Hautangabe kann das Bildnis des Diodoros nicht grundsätzlich von Porträts wie dem des Pompejus unterschieden werden.

In anderer Weise steht das Porträt des Theophanes von Mytilene (gest. vor 36 v.Chr.) dem des Pompejus nahe. Theophanes war Historiker und wurde in den Auseinandersetzungen des 1. Jahrhunderts v.Chr. zum besonderen Freund und Vertrauten des Pompejus, später auch des Caesar. Er erreichte, dass Mytilene nach den Auseinandersetzungen zwischen Mithradates und Pompejus den verlorenen Status einer freien Stadt wiedererhielt. Nach einem langen und einflussreichen Leben erhielt auch er nach seinem Tod kultische Verehrung und wurde auf Münzen von Mytilene dargestellt. Durch den Vergleich mit diesen Münzen konnte ein überlebensgroßes Porträt aus Mytilene als das des Theophanes identifiziert werden. Selbst im Vergleich zu den Porträts seines Freundes Pompejus, dem die bewusste Nachahmung Alexanders d.Gr. nachgesagt wird, wirkt das Bildnis des Theophanes entschiedener, energievoller, beinahe brutal. Er war gewiss ein philorhomaios; aber hier griechische und römische Züge trennen zu wollen, scheint selbst vor dem Hintergrund der Kenntnis des gesamten Bestandes hellenistischer und republikanischer Porträts kaum möglich.

Schließlich ist das Porträt des bekannten Stoikers Poseidonios von Rhodos (135-51/50 v.Chr.) zu nennen. Durch den − wenn auch kurzen − Bart gibt er sich als Philosoph zu erkennen, aber die Intensität der Argumentation ist jetzt abgemildert, Denkbewegungen scheinen nur noch leichte Spuren in dem ruhigen Gesicht hinterlassen zu haben. Hat sich das Philosophenbild verändert? Hat Poseidonios ein rhodisches Lokalgesicht, wie der Vergleich mit anderen rhodischen Porträts vermuten lassen könnte? Oder war ein moderater Intellektuellen-Habitus Mode unter den Bewohnern von Rhodos, einem Zentrum der Bildung?

Diese wenigen Beispiel zeigen die enormen Unsicherheiten der Forschung im Umgang mit dem späthellenistischen Privatporträt. Sie wird gewiss einen neuen Zugang zu diesem Phänomen suchen müssen.

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 Republikanische Porträts
Funktionen: Ehrenstatuen
 Buschor, Hellenist.Bildnis L. Giuliani, Bildnis und Botschaft Zanker, Maske Zanker, in Stadtbild und Bürgerbild Philorhomaioi: R.R.R.Smith, Hellenistic Royal Portraits Republikanische Porträts hellenistisch: Zanker… Theophanes: Schmaltz, Salzmann, zuletzt Grimm, AntW Diodoros Pasparos: Radt, Hübner, in:… Perg.Forsch Albani-Katalog (Postumius Albinus)