Nero (Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus) 54-68 n.Chr.

Nero wurde 37 n.Chr. als Sohn der Agrippina minor, einer Schwester des Caligula, und des Cn. Domitius Ahenobarbus geboren. Agrippina heiratete 49 n.Chr. ihren betagten Onkel Claudius. Sie setzte es durch, dass dieser im Jahre 50 n.Chr. ihren Sohn adoptierte und ihn anstelle seines eigenen Sohnes Britannicus zum Thronfolger (Caesar) ernannte. Als starkes Argument galt dabei, dass Nero über seine Mutter direkt von Augustus abstammte. 51 n.Chr. erhielt Nero vorzeitig die toga virilis (die Toga der Erwachsenen); 53 n.Chr. wurde er mit Claudius‘ Tochter Octavia verheiratet. 54 n.Chr. ließ Agrippina Claudius umbringen und Nero wurde Kaiser. Agrippinas Bedeutung für Neros Aufstieg zum Kaiser wurde anfangs stark betont, sie hatte eine wichtige Rolle.

Unter der Ägide des Philosophen Seneca, des Praetorianerpraefekten Afranius Burrus und anfangs noch der Agrippina soll Nero fünf Jahre lang eine vorbildliche Herrschaft geführt haben, die den Idealen der Prinzipatskonstruktion entsprach und sich am Vorbild des Augustus orientierte (‚Quinquennium Neronis‚). Dieser Rolle, die Zurückhaltung gegenüber den Möglichkeiten der faktisch gegebenen Monarchie erforderte, war der junge Kaiser kaum gewachsen. Er strebte nach einem Leben im Sinne des otium-Ideals, in dem sich Luxus der Lebensführung mit Elementen griechischer Bildung verbanden. Auf dieser Linie liegt, dass er sich für einen bedeutenden Sänger hielt und öffentliche Auftritte suchte. Hinzu kam sein Bedürfnis, seine monarchische Position stärker herauszustellen, als es im Prinzipat opportun war.

Es kam bald zu Zerwürfnissen mit Agrippina, später mit seinen Beratern. 59 n.Chr. ließ Nero Agrippina ermorden. 62 n.Chr. starb Burrus. Seneca zog sich allmählich zurück; er wurde nach der pisonischen Verschwörung 65 n.Chr. zum Selbstmord gezwungen. Nero begann jetzt mehr und mehr, seine eigenen Neigungen auszuleben. Zwei Aspekte standen dabei im Vordergrund: Einerseits wollte Nero das Konzept des otium, das bislang auf das luxuriöse Villenleben beschränkt war, auf sein Leben in Rom übertragen. Dieses otium bestand in einer für unsere Augen seltsamen Verbindung von luxuriöser Lebensführung einerseits und andererseits Interesse an der griechischen Kultur, also an Sport, Literatur, Dichtung, Kunst und Philosophie. Nero baute Bäder mit griechischen Einrichtungen, er richtete griechische musische Wettkämpfe ein, die seinem Interesse für Gesang entgegenkamen. Der andere Aspekt war Neros megalomane Ausgestaltung seiner Herrscherrolle, für die er sich zugleich auf Augustus und Alexander d.Gr. berief.

Einschneidende Maßnahmen in diesem Sinne waren nach dem Brand Roms 64 n.Chr. der Bau der Domus Aurea, einer Landvilla als Residenz mitten in Rom, und die Errichtung einer 30m hohen Statue Neros in Gestalt des Sonnengottes als Herrscher eines neuen Goldenen Zeitalters. Hinzu kam im Jahr 66 n.Chr eine Reise durch Griechenland, in der Nero bei zahlreichen musischen Wettkämpfen als Sänger zur Kithara auftrat.

Misswirtschaft, Willkür gegen den Senat und die Empörung über die Verletzung der etablierten princeps-Rolle führten dazu, dass der Statthalter von Hispania Tarraconensis, Servius Sulpicius Galba, sich zum Kaiser ausrufen ließ. Nero gab sich den Tod.

Von Nero haben sich drei verschiedene Bildnisfassungen (Grundtypen/Typen) erhalten. Sie weisen markante Unterschiede auf und sind auch auf den Münzen klar zu unterscheiden. Daher sind ihre Abfolge und die Zeitpunkte ihres Einsetzens ohne Schwierigkeit zu bestimmen. Von dem ersten Bildnistypus hat es allerdings mehrere Auflagen gegeben. Ihre genaue Datierung wäre wichtig, weil sie zeigen würde, welche Momente in der frühen Regierung Neros durch Bildnisfassungen hervorgehoben wurden, doch bedarf es dazu weiterer Forschung.

Die frühen Typen, 50-59 n.Chr.

In den frühen Bildnistypen ist Nero zunächst jugendlich und bartlos (s. aber unten) wiedergegeben. Er trägt glattes Haar, das in die Stirn fällt und in der Mitte gescheitelt ist. Zu den Typen gehören auch tiefliegende Augen, unter denen das Fleisch einsinkt.

Zu unterscheiden ist ein erster, kindlicher Typus, der für den Thronfolger Nero geschaffen wurde und ein zweiter, der beim Regierungsantritt 54 n.Chr. entstand. Von diesem Typus wurden mindestens eine, vielleicht sogar zwei Neuauflagen hergestellt, die das weitere Heranwachsen des Kaisers spiegeln. Die Frage nach der Zahl dieser Neuauflagen muss noch genauer untersucht werden.

Typus 1, 50 n.Chr.

Ein erster Porträttypus, hier durch den 19 cm hohen Kopf im Louvre vertreten, zeigt Nero mit der beschriebenen Frisur und einem kindlichen Gesicht. Zwei dieser Porträts, das im Louvre und eines in Parma, sind mit Togastatuen verbunden, auf denen Nero das traditionelle Knabenamulett, die Bulla, an einem Band um den Hals trägt. Diese Statuen müssen entstanden sein, bevor Nero im Jahr 51 n.Chr. vorzeitig in einem ebenfalls alten Ritual die toga virilis anlegte, und damit einen Schritt des Übergangs in die Erwachsenenwelt tat. Wahrscheinlich wurde der Typus anlässlich der Adoption Neros und seiner Ernennung zum Thronfolger im Jahr 50 n.Chr. geschaffen.

Der Typus mit dem kurzen glatten Haar ist eindeutig dynastisch geprägt und unterstreicht den Zusammenhang mit den vorausgehenden Vertretern der julisch-claudischen Familie. Nur die geschlossene Linie der Stirnfransen sieht etwas anders aus, als die Gabel- und Zangenfrisuren der julisch-claudischen Verwandten, aber die Übereinstimmungen in der Gesamterscheinung überwiegen.

Typus 2, 54-59 n.Chr.

Für die folgenden Neufassung des Porträts soll stellvertretend das Bildnis auf einem Kameo in Bonner Privatbesitz stehen. Der Eichenkranz weist es als Porträt eines Kaisers aus, und die Frisur lässt keinen Zweifel, dass der junge Nero gemeint sein muss. Die Frisur stimmt grundsätzlich mit der des ersten Typus überein, doch reicht das Haar im Nacken tiefer herab. Die Proportionen sind weniger kindlich als beim ersten Bildnistypus. Nero trägt einen Kranz mit langen Blättern, die zunächst wie Lorbeerblätter wirken. Punktbohrungen an den Rändern der Blätter oberhalb der Ohren sind jedoch vereinfachte Wiedergaben der Einschnitte an den Rändern von Eichenblättern.

Der Eichenkranz war ursprünglich ein republikanisches Ehrenzeichen, das Soldaten für die Rettung des Lebens anderer verliehen wurde. In der frühen Kaiserzeit hatte er sich zum kaiserlichen Attribut entwickelt. Er war Nero beim Regierungsantritt 54 n.Chr. verliehen worden und bildete das wichtigste Reversbild der Edelmetallmünzen in den Jahren 54 bis 59 n.Chr. Das Kameenbildnis repräsentiert wahrscheinlich den zum Regierungsantritt im Jahr 54 n.Chr. geschaffenen Typus. Mindestens eine weitere Auflage des Porträts vor dem folgenden Typenwechsel im Jahr 59 n.Chr. ist nachzuweisen. Einige Darstellungen zeigen Neroin diesem Typus mit jugendlichem Backenbart.

Inhaltlich hat sich bei den späteren Auflagen des ersten Typus keine Änderung gegenüber den Anfängen ergeben.

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Typus 3, 59-63/64 n.Chr.

In diesem Typus erscheint das Porträt völlig umgestaltet. Das Haar reicht wie vorher tief in die Stirn. Doch es ist jetzt vorn in zwei übereinanderliegende Reihen (gradus) eng stehender Sichelsträhnen gefasst, die aussehen wie mit der Brennschere gemacht. Über der rechten Stirnecke wechseln die Sichelsträhnen die Richtung. Das Haar im Nacken ist länger als vorher und entschieden nach vorn gekämmt. Schon bei den spätesten Porträts des vorausgehenden Typus (die hier nicht gezeigt werden können), war eine Verfettung des Gesichts zu erahnen; sie kommt bei diesem Typus deutlich zum Vorschein. Nero hat ein Doppelkinn, eine Andeutung von Pausbacken und einsinkende Augen. Die Falten an den Mundwinkeln und unter den Augen könnten ebenso auf Verfettung wie auf Erschlaffung schließen lassen.

Auf den Münzen erscheint dieser Typus immer bartlos. Auch in den plastischen Porträts kann er bartlos sein, wie beim gezeigten Porträt in Florenz. Beim Porträt im Museo Nazionale Romano hat der Kaiser jedoch einen Backenbart und ein schmales Bärtchen, das unter den Unterkiefern entlangläuft und den zunehmenden Bartwuchs anzeigt.

Die vordere Sichelsträhnenreihe, mehr aber noch die Teilung der Strähnenrichtungen an der rechten Stirnecke ist auf Münzen klar identifizierbar. Sie erscheint seit 59 n.Chr. und wird dort 63/64 n.Chr. durch den folgenden Typus abgelöst.

Typus 4, 63/64 – 68 n.Chr.

Der letzte Porträttypus wird hier durch einen fein gearbeiteten Kopf in Worcester/Mass. vertreten. Er ist allerdings durch Umarbeitung aus einem älteren Kopf entstanden und weist deshalb einige Besonderheiten auf. Da die vordere Haarwelle durch Eintiefen der darunterliegenden Partie gewonnen werden musste, tritt das Gesicht darunter jetzt besonders stark zurück. Die Ohren der ersten Fassung mussten entfernt und neue eingesetzt werden. Außerdem war nicht genug Volumen für das lange und nach vorn reichende Nackenhaar Neros vorhanden. Die gepickte Fläche mit einem Stiftloch auf der rechten Halsseite zeigt, dass hier Haar (aus Stuck?) angesetzt war.

Der letzte Porträttypus Neros bringt noch eine Steigerung dieser neuartigen Selbstdarstellung. Die Sichelsträhnenreihe über der Stirn läuft jetzt nur in eine Richtung, die gradus werden schmaler und preziöser, die Winker vor den Ohren feiner. Exemplare mit erhaltenem Nackenhaar zeigen, dass Nero dieses Haar jetzt so voluminös trug, dass man es sogar von vorn an den Seiten des Halses sehen konnte. Nero ist in diesem Typus richtig fett. Er hat ein gewaltiges Unterkinn, und Mund und Augen versinken noch mehr als beim vorausgehenden Typus in Fettpolstern.

Im Münzbild erscheint dieser Typus abwechselnd glatt rasiert und mit einem feinen Flaumbart, der den unteren Teil des Gesichts bedeckt. Die rundplastischen Kopien sind dagegen fast durchweg bartlos. Dieselbe Diskrepanz zwischen den einzelnen Münzbildnissen und zwischen Münzen und Marmorporträts kehrt auch bei Titus und Domitian wieder. Sie lässt darauf schließen, dass zu diesem Typus ein sehr feiner Flaumbart gehörte. Er war so fein, dass er bei den rundplastischen Porträts nicht plastisch ausgearbeitet, sondern aufgemalt war. Da bei den Münzen die Möglichkeit farbiger Differenzierung nicht gegeben war, mussten die Stempelschneider sich entscheiden, den Bart entweder plastisch anzugeben oder ihn wegzulassen. Dieses Problem haben sie in verschiedener Weise gelöst. Man wird sich Neros späte Porträts also mit einem feinen Flaumbart vorstellen müssen, der das Untergesicht bedeckte.

Der letzte Bildnistypus ist auf den Münzen an der durchgehenden Haarwelle zu erkennen. Er trat im Jahr 63/64 n.Chr. zum erstenmal auf.

Die beiden letzten Bildnistypen Neros müssen inhaltlich zusammen gesehen und interpretiert werden. Die völlige Umgestaltung des Porträts im Jahr 59 n.Chr. zeigt, dass das Jahr, in dem Nero sich von Agrippina befreite, einen deutlichen Bruch auch seiner Selbstdarstellung bedeutete. Er löste sich mit dem neuen Porträt von der julisch-claudischen Tradition und strebte Neues an. Der letzte Typus vertieft die Neuerungen, die in diesem Porträt auftraten.

Über die inhaltlichen Intentionen der Gestaltung der beiden letzten Bildnistypen Neros ist viel diskutiert worden. Dabei stand immer die eigenartige Frisur im Vordergrund. Da für sie keine Vorbilder zu benennen waren, hat man versucht, sie aus den vielfältigen Kontexten zu erklären, in die die Überlieferung die Figur Neros stellt. Die beiden wichtigsten Vorschläge gingen dahin, vor dem Hintergrund von hellenistischen Formen der Selbstinszenierung Neros die Frisur als Neuauflage der Mähnen mancher hellenistischen Herrscher zu sehen. Ein anderer Vorschlag vermutete im Zusammenhang mit Neros Sängerauftritten eine Bühnenfrisur. Keiner dieser Vorschläge kann jedoch durch evidente Vergleichsbeispiele gestützt werden.

Die Frisur muss vielmehr als zeitgenössische Luxusfrisur angesehen werden. Dies geht aus zeitgleichen und zeitnahen Äußerungen von Schriftstellern hervor, die Frisuren mit anuli (Ringellöckchen) und gradus (Stufen) sowie Flaumbärtchen erwähnen, die von jungen Leuten getragen werden, die zu sehr der luxuria frönen (Seneca, de brev. vitae 12,3). Eine solche Haltung passt durchaus zu Neros sonstigem Drang nach Luxus. Dieser Luxus war seinerseits nicht marginal, sondern zentraler Teil eines Konzepts der Lebensgestaltung, in das große Teile der Lebensform und Selbstdarstellung des Nero sich einfügen lassen. Dieser Gesichtspunkt wird ausführlicher im Abschnitt über die langfristigen und kurzfristigen Trends in der römischen Porträtgeschichte behandelt. Versteht man die Frisur schlicht als Luxusfrisur, könnte sich auch das korpulente Gesicht einfügen. Als Anzeichen fortgesetzten leiblichen Genusses könnte es durchaus eine positive Aussage enthalten haben.

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