Tiberius (Tiberius Claudius Nero, als Kaiser: Tiberius Caesar Augustus) 14 – 37 n. Chr.

Tiberius wurde 42 v. Chr. geboren. Durch die Heirat seiner Mutter Livia mit Octavian (später Augustus) in zweiter Ehe 38 v.Chr. kam er in den engeren Kreis des augusteischen Hofes und wurde von seinem Stiefvater zu politischen und militärischen Ämtern herangezogen. Für die Nachfolge des Augustus kam er jedoch zunächst nicht infrage. Erst als alle männlichen direkten Nachkommen und Blutsverwandten des Augustus gestorben waren, wurde Tiberius 4 n.Chr. zum Thronerben.

Tiberius‘ Nähe zum Kaiser und seine verschiedenen Missionen gaben schon früh Anlass zu Porträtehrungen, wie aus Inschriften bekannt ist. Doch erst seit 4 n.Chr., dem Zeitpunkt seiner Erhebung zum Erben des Augustus, ist mit der systematischen Aufstellung seiner Porträts zu rechnen. Nach dem Tod des Augustus 14 n.Chr. wurde Tiberius vom Senat zum Kaiser bestimmt, in einem Vorgang, der zuvor ohne Beispiel war. Damit war die ursprünglich nur auf Augustus zugeschnittene Regierungsform des Prinzipats in eine erbliche Dynastiefolge überführt. Dazu gehörte auch, dass neue Bildnisse des princeps verbreitet wurden. Mehrere Porträts des Tiberius in dynastischen Statuengruppen zeigen ihn als Kaiser mit entsprechenden Insignien; sie sichern die Zuordnung einzelner Porträttypen zu diesem Kaiser.

Nach dem Zeugnis der Münzen gab es zu Lebzeiten des Augustus schon mehrere Porträttypen des Tiberius. Wann diese Porträttypen entstanden, ist nicht genau zu bestimmen, weil aus den frühen Jahren des Tiberius die dazu nötigen datierten Porträts, vor allem die Münzbilder, fehlen. Nur ein Porträttypus des Tiberius ist ausschließlich in seiner Regierungszeit belegt; er ist wahrscheinlich zum Amtsantritt geschaffen worden. Die Göttinger Sammlung besitzt Bildnisse des Tiberius, die zu vier verschiedenen Typen gehören.

Die Porträtbüste in Kopenhagen stammt aus Ägypten; sie wurde im Fayum zusammen mit Büsten des Augustus und der Livia gefunden. Schon dieser Gruppenzusammenhang macht es wahrscheinlich, dass dieses Bildnis Tiberius als designierten Thronfolger darstellt. Der Bildtypus ist an der Haaranordnung über der Stirn zu erkennen. Die Strähnen bilden eine Gabelung, die aus der Mitte leicht nach links versetzt ist. Über den äußeren Augenwinkeln ist je eine Strähne zur Mitte hin gebogen, so dass sich dort ein Zangenmotiv bildet. Daneben sind die Haare aus dem Gesicht zu den Seiten gekämmt. Die zum Erkennen des Typus doch so wichtigen Haarmotive sind ganz unauffällig aus sehr kurzen Strähnen gebildet; sie unterbrechen kaum den geraden Haarsaum über der Stirn. Diese zurückhaltende Gestaltung des Stirnhaares steht im Gegensatz zu den kräftig bewegten Stirnhaarfrisuren des gleichzeitigen Augustusporträts.  

Das Porträt des Tiberius auf einer Panzerbüste aus Ephesos gehört zu einem Typus, der in mehreren Repliken vor allem im Osten des römischen Reiches erhalten ist. Die Haare gabeln sich bei diesem Typus über der Stirnmitte; nur auf der rechten Seite bilden gegenbewegte Strähnen ein Zangenmotiv. Auf der linken Seite sind alle Strähnen über der Stirn nach außen gestrichen. Das Porträt wurde in Ephesos zusammen mit einem Porträt der Livia gefunden; es wurde also möglicherweise in der gleichen historischen Konstellation wie die schon genannte Gruppe aus Ägypten errichtet. Auch eine Ehrung von Mutter und Sohn zu Beginn der Regierungszeit des Tiberius kommt infrage.

Das Porträt in Berlin gehört zu einem Typus, der wieder eine Haargabelung in der Mitte zeigt. Die Zangenmotive rechts und links davon sind nicht symmetrisch angeordnet, sondern links weiter außen als rechts. Dieser Porträttypus erscheint schon auf Münzen aus der Regierungszeit des Augustus, wurde also wohl parallel zu den anderen Prinzenporträts des Tiberius verbreitet.

Ein weiteres Porträt des Tiberius in Kopenhagen gehört zu einem Typus, der in zahlreichen Repliken erhalten ist, von denen keine in augusteische Zeit gehören muss. Es ist darum anzunehmen, dass dies das Porträt des Tiberius als Kaiser ist. Es zeigt Tiberius ebenso jugendlich wie die übrigen Porträttypen. Zwar sind hier im Stirnhaar noch zwei Zangenmotive an den Schläfen und eine Gabelung weit rechts zu erkennen; doch sind die Strähnen so entschieden aus der Stirn gestrichen, dass sie fast eine horizontale Kante bilden.  

Der Vergleich von Tiberiusporträts lässt neben den typenbedingten Unterschieden einige wiederkehrende Gesichtszüge erkennen, die als individuelle Merkmale des Tiberius gewertet werden dürfen. Sein Gesicht hat mit breiter Stirn und spitz zulaufendem Kinn eine nahezu dreieckige Grundform. Der Mund ist klein und über der vorspringenden Kinnspitze tief eingebettet. Die stark geschwungene Oberlippe ragt etwas vor. Eine ähnliche Mundform begegnet bei Porträts der Livia, dürfte also ein Zeichen für Familienähnlichkeit sein. Eine solche Ähnlichkeit zum Porträt des Adoptivvaters Augustus hätte keine Grundlage gehabt und wurde auch nicht konstruiert. Die verbindende Rolle der Livia zwischen Augustus und seinem Nachfolger wird deutlich.

An den Porträts des Tiberius ist bemerkenswert, dass sie ganz in der Tradition der Augustusbildnisse bleiben. Augustus hatte seine Karriere als sehr junger Mann begonnen und dann sein Erscheinungsbild nicht mehr verändert. Verständlicherweise konnten die jüngeren Mitglieder des Kaiserhauses in ihren Porträts, die neben denen des Augustus standen, nicht älter aussehen als der Kaiser. So kommt es, dass der schon ältliche Thronfolger Tiberius noch immer als jugendlicher Prinz präsentiert wird. Doch auch nach seinem Regierungsantritt im Alter von über 55 Jahren bleibt das jugendliche Aussehen des Tiberius unverändert. Man kann vermuten, dass sich darin auch die Politik des Tiberius spiegelt, der auf bruchlose Kontinuität mit der Regierung des Augustus setzte.

Über die Gründe und Anlässe für die verschiedenen Neuschöpfungen des Tiberiusporträts lassen sich kaum genauere Angaben machen. Nur der letzte Typus scheint mit dem Regierungsantritt im Jahr 14 n.Chr. in Verbindung zu stehen. Eine eigene programmatische Aussage ist keinem der Porträttypen abzulesen.

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