Die Kaiser der Tetrarchie

Historischer Kontext

Diokletian wurde 284 n.Chr. vom Heer in Nikomedeia zum Kaiser erhoben. 285 n.Chr. besiegte er Carinus und nahm sofort einen Mitregenten, mit dem er sich die Reichsverteidigung und -verwaltung teilte. Maximianus (Herculeus) war fortan für den Westen zuständig, Diokletian für den Osten. Die außenpolitische Lage erforderte bald eine Erweiterung der Führungsgruppe. 293 n.Chr. wählten sich die beiden Augusti je einen jüngeren Mitregenten (Caesar), und die Zuständigkeitsbereiche wurden noch einmal differenziert. Die Caesares waren Constantius Chlorus (der Vater Konstantins d.Gr.) im Westen und Galerius im Osten. Die Beziehung zwischen Caesares und Augusti wurde auch als Vater-Sohn-Verhältnis gestaltet: die Caesares mussten ihre bisherigen Frauen aufgeben und Töchter der Augusti heiraten. Diese gemeinsame Herrschaft von vier Kaisern (Tetrarchie) hielt zum Erstaunen der Zeitgenossen lange und führte zu einer einzigartigen Machtübergabe.

305 n.Chr. traten Diokletian und Maximian zurück, die Caesares wurden Augusti und wählten ihrerseits neue Caesares. Diese Lösung zerbrach, als Constantius Chlorus bereits 306 n.Chr. starb. Gegen die Regeln traten sein leiblicher Sohn Konstantin und kurz darauf Maxentius, der leibliche Sohn des Maximianus Herculeus mit Herrschaftsansprüchen auf; dagegen standen vom tetrarchischen System eingesetzte Regenten. Es folgte ein Chaos von Konkurrenzen, temporären Allianzen und kriegerischen Auseinandersetzungen. 308 n.Chr. ordnete Diokletian noch einmal die Verhältnisse, ohne bleibenden Erfolg. 313 n.Chr. blieben Konstantin und Licinius als Dyarchen übrig. 324 n.Chr. war Konstantin Alleinherrscher.

In der Zeit der Tetrarchie gelang es, das Reich nach außen zu sichern. Im Inneren wurden weitreichende Reformen durchgeführt, die unter Konstantin abgeschlossen wurden. Reichsverwaltung und -aufteilung, das Heerwesen, die Steuern und das Geldwesen und schließlich die soziale Struktur der Gesellschaft wurden umgestaltet. Der monarchische Charakter des Prinzipats, der faktisch schon lange deutlich war, wurde nun offiziell Teil der Repräsentation. Die Bedeutung von Rom als Zentrum ging zurück, die Tetrarchen residierten an verschiedenen und wechselnden Orten, die sie aufwendig ausbauten.

Die Porträts: Das Chaos und seine Ordnung

Der Erforschung der Porträts der Tetrarchie stehen besondere Schwierigkeiten entgegen, nur über wenige Fragen herrscht in der Forschung Einigkeit. Doch hat diese Phase eines historischen Umbruchs für die Geschichte des antiken Porträts eine besondere Bedeutung. Deshalb wird sie hier im Zusammenhang und ausführlicher als andere behandelt.

Abgesehen von einem verbindenden Porträtideal bieten die Porträts der Tetrarchie auf den ersten Blick den Eindruck eines Chaos, sowohl die Kaiser- wie die Privatporträts. Obwohl mehr als 25 tetrarchische Porträts bekannt sind, die aufgrund ihres Formats, ihres Materials und ihrer Attribute Kaiserporträts sein müssen, lässt sich fast keines sicher benennen, weil sie nur wenig individualisiert sind. Ein großer Teil besteht aus wiederverwendeten älteren Porträts, deren Umarbeitung wenig sorgfältig ist. Es gibt im Einzelnen höchst divergente Stilisierungsformen und kaum Datierungsmöglichkeiten. Lokale Sonderformen entstehen. In Rom ist die Situation übersichtlicher als im übrigen Reich, aber dennoch schwierig. Nur aus Rom haben sich noch Porträts mit Repliken erhalten, die aus diesem Grund als Kaiserporträts gedeutet werden können: die Porträts des Constantius Chlorus und des Maxentius.

Das vermeintliche Chaos hat jedoch System. Die bestimmenden historischen Fakten und Konstellationen lassen sich benennen: Die Entindividualisierung von Porträts ist Ausdruck tetrarchischer Gleichheitsideologie. Andererseits sorgt die politische und künstlerische Dezentralisierung für Unübersichtlichkeit. Hinzu kommen ein Porträtideal, das den Gedanken militärischer Leistungsfähigkeit mit Zügen charismatischer Überhöhung verbinden kann, sowie neue Elemente monarchischer Selbstdarstellung. Diese Phänomene sind in Grundzügen an den in Göttingen vorhandenen Abgüssen nachzuverfolgen.

Das Image der Tetrarchen und tetrarchische Zeitgesichter: Schweiß und Anstrengung (sudor largus und labor)

Die Männerporträts tetrarchischer Zeit zeichnen sich im Vergleich zu den vorausgehenden Kaiserporträts durch eine neue und extreme Gestaltung aus. Sie findet sich sowohl bei Kaiserporträts als auch bei Privatporträts. Zwei Porträts in Kopenhagen und eines ehemals in der Villa Doria Pamphilj in Rom verdeutlichen das Prinzip. Seit der Zeit Diokletians kehrte man zur einfachen Mode und zur expressiven Porträtstilisierung zurück, wie sie in der Zeit des Traianus Decius üblich gewesen war: kurzgeschorens Haar und Stoppelbärte, von Alter zerklüftete Gesichter und angespannte Mimik, ausgeführt in scheinbar roher Meißelarbeit. Nur sind alle diese Züge in tetrarchischer Zeit enorm gesteigert, beim oben rechts gezeigten Kopf in Kopenhagen ins kaum noch Erträgliche. Die Gesichter sind von ‚unheilbarer Schiefe‘ (so H.P. L’Orange) und tiefer Zerrissenheit. Einen Höhepunkt bilden Porträts in der Art des Kopfes in Kopenhagen, bei denen Schiefe und Verzerrung sogar den Knochenbau ergriffen und die von Falten durchfurchte Stirn nach vorn getrieben hat.

Die Porträts des Constantius Chlorus sind mit ihrer Hakennase und dem enormen Kinn stark individualisiert. Als Porträts eines Caesar sind sie entschieden jugendlicher als die durchschnittlichen tetrarchischen Porträts; mit ihrem deformierten Kopf sind sie aber zugleich großartige Entwürfe, die sich weit vom Naturvorbild entfernen.

Die Rohheit der Einzelformen bei diesen Porträts beruht nicht auf nachlassendem künstlerischen Vermögen, sondern war beabsichtigt. Denn die gleichzeitigen Frauenporträts waren weiterhin schön und handwerklich anspruchsvoll. Im Gefolge der zahlreichen Experimente der Selbststilisierung bei den vorausgehenden Kaisern muss auch diese Stilisierung als eine bewusste Entscheidung gesehen werden. Sie setzte plötzlich ein und war schon kurz nach 306 n.Chr. in Rom wieder im Rückgang begriffen. Maxentius ließ sich dort zu dieser Zeit ausgeglichener und mit stärker klassischen Formen darstellen.

Es gibt keine Selbstäußerungen der Tetrarchen oder ihrer Zeitgenossen über diese extremen Darstellungsformen. Einen Schlüssel zum Verständnis könnte jedoch die Charakterisierung der eigenen Tätigkeit im Einleitungssatz zum Preisedikt Diokletians aus dem Jahr 301 n.Chr. liefern, das im ganzen Reich verbreitet wurde: „Das Glück unseres Staates … und den beruhigten Zustand der Welt, die im Schoß tiefster Stille ruht und die Güter des Friedens, für die mit reichlich Schweiß gerungen wurde“ − „propter quam sudore largo laboratum est.“ Äußerste, alles überschreitende Anstrengung für die Erringung eines beruhigten Zustandes müssen die Kaiserportäts versprochen haben – und wie gewohnt folgte ihnen das Privatporträt.

Die Venezianer Tetrarchengruppen

Viele der Gesichtspunkte, die sonst noch für die Gestaltung der Tetrarchenporträts wichtig waren, lassen sich an den Darstellungen der vier Tetrarchen aus rotem Porphyr zeigen, die heute an der Fassade von S. Marco in Venedig eingemauert sind.

1. Zustand, Herkunft, ursprüngliche Form des Monuments

Eine Gruppe ist vollständig, die zweite an ihrer rechten Seite beschnitten. An der vollständigen Gruppe ist noch zu erkennen, dass sie auf einer Konsole vor einem gerundeten Hintergrund angebracht war. Die einzelnen Gruppen waren einst am oberen Teil von Säulen angebracht, wie noch an Beispielen im Vatikan zu sehen ist (s.u.).

Die Figuren sind mit der Beute des vierten Kreuzzuges 1204 n.Chr. aus Konstantinopel nach Venedig gekommen. Der fehlende Fuß der Gruppe der Caesares ist in Istanbul gefunden worden. In Konstantinopel standen sie wahrscheinlich auf einem Hauptplatz, dem Philadelpheion, müssen aber auch dort schon zum zweitenmal verwendet gewesen sein. Dort wurden ihre Gewandfibeln durch größere aus anderem Material ersetzt, zuvor mussten die alten Fibeln weggemeißelt werden. Kostbare Applikationen wurden auch an den schlichten Mützen angebracht. Bei den jeweils rechten Figuren der Gruppen wurde ein grober Bart eingeritzt. Es wurde nachgewiesen, das die Figuren ursprünglich keine Kennzeichnung der Oberflächen von Haar und Bart hatten, wie manche anderen Arbeiten aus rotem Porphyr. Diese Änderungen müssen noch in Konstantinopel vorgenommen worden sein. Denn das Einsatzloch auf der Rückseite der Mütze einer Figur liegt in der Fassade von San Marco und kann mit einem Werkzeug nicht erreicht werden.

2. Alte und neue Kleidung, monarchischer Prunk, die virtus der Illyrier

Die vier Kaiser tragen die übliche Muskelpanzertracht mit einem auf der Schulter zusammengehaltenen Militärmantel. Einer damals neuen Mode entsprechen die engen langen Ärmel der Tunica und die halboffenen Schuhe mit den gekreuzten Riemen über dem Rist (campagi). Zum erstenmal in der Geschichte der römischen Kaiserbilder sind diese aber nun mit Edelsteinen geschmückt: am Gürtel, am Schwert und an den Schuhen.

Edelsteine in der Männertracht waren zuvor in Rom immer als Kennzeichen orientalischer Monarchie verdammt worden, nun wurden sie bewusst als Kennzeichen monarchischen Status gezeigt. Ebenso distinktiv ist das Material der Statuen. Der rote Porphyr gibt den jetzt üblichen Purpur der kaiserlichen Gewänder wieder. In der Tetrarchie wurden erstmals auch die Köpfe der Kaiser in Porphyr dargestellt:

der Purpur sollte die ganze Person durchtränken, Status ging über Naturvorbild. In diesem Sinn wurde Porphyr in der Tetrarchie zu einem bevorzugten Material für Kaiserstatuen, kaiserliche Architektur, Kaisersarkophage. Die intensive Farbwirkung kann eine Porphyrbüste des Serapis in Marburg illustrieren.

Die barettartigen Mützen stehen in eigentümlichem Gegensatz zum monarchischen Prunk. Sie sind als kaiserliches Attribut nur für die Tetrarchen bezeugt und wurden vorher nie dargestellt. Wie das Aussehen solcher Mützen bei Soldaten etwa am Konstantinsbogen bezeugt, waren es Mützen mit pelzigen Oberflächen. Man hat sie mit der spezifisch pannonischen Soldatenmütze aus Filz oder Pelz identifiziert, die der Militärschriftsteller Vegetius im 4. Jahrhundert n.Chr. erwähnt (Epitoma Rei Militaris 43). Die Illyrier bildeten schon lange die schlagkräftigsten Einheiten des römischen Heeres. Die virtus (exercitus) Illyrici war ein Slogan der Münzen. Die meisten Kaiser nach Gallienus und alle Tetrarchen stammten aus Illyricum. Die Mützen stellten ein Bekenntnis dar: zur illyrischen Identität der Tetrarchen, zum notwendigen Rückhalt im illyrischen Heer, aber auch zur Ideologie militärischer Leistung, die das Porträtideal so stark bestimmte. Ein Kommentar des späteren Autors Aurelius Victor (Caes.39,26) lautet: ‚Sie hatten alle in Illyricum ihre Heimat. Obwohl sie nur über wenig Bildung verfügten, waren sie in das Elend des Landes und des Militärdienstes zu Genüge eingeweiht und bewährten sich sehr für den Staat‘. Monarchische Distinktion und Soldatenideologie verbinden sich in der Ausstattung der Venezianer Tetrarchen auf ungewohnte Weise.

3. Augusti und Caesares, concordia (Eintracht), similitudo (Ähnlichkeit)

In Venedig und in den entsprechenden vatikanischen Gruppen stehen jeweils zwei Regenten in einer Art Umarmung beisammen. Der Gestus war in der Kaiserikonographie neu. Er betonte die gegenseitige Anerkennung und Eintracht der Herrscher, die in einem so krisenanfälligen Projekt wie der gemeinsamen Herrschaft von vier Personen zentrale Bedeutung hatte. An den Tetrarchengruppen im Vatikan erkennt man, dass auch die in Venedig mit ihrer gerundeten Rückseite einst als Embleme an großen Säulen gesessen haben müssen, die in einen Architekturzusammenhang integriert waren.

Ob hier die Regentenkonstellation der ersten oder späterer Tetrarchien gezeigt wird, ist nicht sicher feststellbar. Umstritten war lange, ob jeweils die Augusti und die Caesares in diesem Gestus der concordia beisammen stehen oder jeweils ein Augustus mit seinem Caesar. In den vatikanischen Gruppen stehen eindeutig jeweils die Augusti und die Caesares zusammen, die Augusti sind älter und grimmiger, die Caesares jünger und freundlicher charakterisiert. Bei den Venezianer Gruppen musste man an die Kombination von Augustus und Caesar glauben, solange nicht erkannt war, dass die Bärte nachträglich zugefügt sind. Bärte und Bartlosigkeit schienen dann auf Altersunterschiede hinzuweisen, entsprechend dem Schema der Augusti und ihrer Caesares in der Rolle der Thronfolger und Schwiegersöhne. Im ursprünglichen Zustand waren die Gesichter aller vier Regenten jedoch glatt. Die Oberflächenkennzeichnung von Haar und Bart fehlte. Dies war wahrscheinlich gleichbedeutend mit Darstelllungen, in denen Haar und Bart durch Ritzungen angegeben waren. Dieses Spezialproblem ist noch weiter zu verfolgen.

Nachdem die Bärte als ikonographisches Merkmal ausgeschieden werden können, sind auch in diesen Gruppen eindeutig jeweils die Augusti und die Caesares zusammengestellt: die Augusti mit kompakteren Köpfen, etwas mehr Alterszügen und leicht herabgezogenen Mundwinkeln, die Caesares mit schmaleren Köpfen und weniger Alterszügen. Die Unterschiede sind schwächer als in den vatikanischen Zweiergruppen, entsprechen aber sinngemäß der dort viel ausgeprägteren Kennzeichnung von Augusti und Caesares. Offensichtlich kam es in diesen Fällen fast gar nicht darauf an, die Dargestellten als Individuen zu kennzeichnen, wichtig war allein ihr Rang innerhalb des tetrarchischen Systems. Noch auf die gemeinsame Herrschaft Diokletians und Maximians bezogen sagt ein Redner (Pan.lat.II (10)9): ‚Ihr, die im höchsten Amt nicht die Übereinstimung der Gesichter gleich werden ließ, sondern die Übereinstimmung eures Verhaltens‘. Und offensichtlich war die concordia des Augustus mit seinem Caesar selbstverständlich, ungleich wichtiger war die concordia der Gleichrangigen im Osten und Westen.

4. Dezentralisierung und viele Zentren

Die Brüche des roten Porphyrs lagen in Ägypten. In der Zeit vor der Tetrarchie wurde Porphyr eher sparsam benutzt. Die Reste von Porphyrskulpturen lassen erkennen, dass das Rohmaterial nach Rom gebracht und damals dort verarbeitet wurde. In der Tetrarchie setzte eine reiche Produktion ein: Säulenmonumente wie in Venedig, Porphyrporträts und Porphyrsarkophage für die Kaiser. Sie finden sich im ganzen Reichsgebiet verteilt, bilden aber mit gewissen Varianten eine stilistisch markante und einheitliche Gruppe. Ihr Herstellungsort muss nun in Ägypten gelegen haben. Eines der vielen Argumente dafür ist der charakteristische Gewandstil mit den seilartigen Falten, der sich auch bei Fundstücken in Ägypten selbst findet, z.B. bei einer Kaiserbüste aus Athribis im Nildelta.

Da Rom als Zentrum entwertet war, seit die Kaiser in vielen Zentren residierten, wurde also die neue Großproduktion von Porphyrgegenständen zentral im Lande der Porphyrbrüche angesiedelt. Von dort wurden sie ins ganze Reich verschickt. Dabei wurden auch alte künstlerische Standards unwichtig: Die Skulpturen sind in einem in mancher Hinsicht primitiven lokalen Stil gehalten, der offenbar akzeptiert wurde.

Die Gesichtspunkte der tetrarchischen Selbstdarstellung, die an den Venezianer Tetrarchen zu erkennen waren, werden im Folgenden Grundlage von Interpretationen des Materials im Ganzen − exemplifiziert an den Göttinger Beständen.

Tetrarchische Porträtgruppen: concordia und gegenseitige Anerkennung

Die Porträts der Tetrarchen wurden im ganzen Reich gemeinsam aufgestellt, so etwa in dem sog. Fünfsäulenmonument am Westende des Forum Romanum in Rom. Auf Säulen standen dort die Statuen der vier Tetrarchen, in ihrer Mitte eine fünfte Säule mit der Statue Jupiters. Solche Bildnisgruppen waren Ausdruck der Untrennbarkeit und concordia der vier Herrscher. Aber gemeinsame Bildnisaufstellung gehörte auch zu den Ritualen gegenseitiger Anerkennung. Bei einem Wechsel der Herrscher sandte der neue den anderen sein Porträt zu, als Gemälde oder im Kleinformat, und in dem feierlichen Akt, mit dem eine solche Anerkennung vor sich ging, wurden auch die Bildnisse gemeinsam gezeigt. Zur Absage an eine Herrscherkoalition gehörte die Entfernung der Porträts des Unliebsamen aus dem öffentlichen Bereich. In den Wirren und wechselnden Koalitionen nach dem Ende der ersten Tetrarchie gab es viele solcher Vorgänge, über die die antiken Quellen sogar manchmal berichten.

Das Porträtchaos, seine Begründung, seine Ordnung

Die ständige Übersendung von Bildnissen und die gemeinsame Aufstellung der Tetrarchenporträts lässt eine große Homogenität der Porträtgestaltung erwarten. Die Vielzahl der neuen Zentren hat jedoch das Gegenteil bewirkt. Offenbar wurden in den neuen Residenzen mit ihren großen Bauprojekten Handwerker verschiedener Herkunft herangezogen, und es entstanden ganz unterschiedliche Auslegungen des Grundgedankens der Tetrarchenporträts. Befördert wurden diese Unterschiede außerdem dadurch, dass individuelle Kennzeichnung, wie die Venezianer Tetrarchen zeigen, nicht grundsätzlich wichtig war und bei Bedarf reduziert werden konnte. Besonders klar zeigt sich das Phänomen an den Münzbildnissen. Die Kaiser der Tetrarchie ließen in 16 Städten Münzen prägen. Jede Münzstätte verwendete einen eigenen Kopftypus, in den lediglich Einzelheiten wie Hakennasen, Doppelkinne oder extreme Geheimratsecken eingetragen wurden. Oberflächlich sah daher derselbe Kaiser in verschiedenen Münzstätten sehr verschieden aus, verschiedene Kaiser in derselben Münzstätte und zur selben Zeit aber sehr ähnlich. Als Beispiel dienen Porträts des Diokletian mit hagerem Gesicht, des Maximianus Herculeus mit Doppelkinn und aufgeworfener Nase und des Constantius Chlorus mit Hakennase, die jeweils in einer Münzemission an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten geprägt wurden.

Weniger übersichtllich, aber grundsätzlich ähnlich verhält es sich in der Skulptur. Die beiden als Repliken erhaltenen Porträts des Constantius Chlorus geben ihn wegen der fehlenden Alterszüge sicher als Caesar wieder. Sie entstammen einer römischen Werkstatt. In derselben Werkstatt entstand der Kopf eines älteren Mannes in Kopenhagen. Ähnlich wie ihn wird man sich ein in dieser Werkstatt entstandenes Porträt des Diokletian vorstellen müssen.

Als Porträt Diokletians wird in der Regel ein überlebensgroßer Kaiserkopf mit Eichenkranz gedeutet, der in Nikomedeia, einer der Hauptresidenzen Diokletians gefunden wurde. Im Ausschlussverfahren scheint dies die wahrscheinlichste Deutung. Wenn die Venezianer Gruppe sich auf die erste Tetrarchie bezöge, müsste derjenige der beiden Augusti, der dem anderen den Arm umlegt, Diokletian sein. Stellt man sich nun vor, die Werkstatt, die die Büste von Athribis hergestellt hat, hätte ein Porträt des Constantius Chlorus meißeln müssen und dafür einen Entwurf in der Art der römischen Porträts dieses Kaisers zur Verfügung gehabt, wäre außer der Nase wenig Charakteristisches übriggeblieben. Zweifellos liegen in diesen unterschiedlichen Versionen nicht nur Werkstattunterschiede, sondern verschiedene Vorstellungen von dem vor, was ein Kaiserporträt aussagen soll. Die riesigen starrenden Augen des Porträts von Athribis betonen eher den majestätischen Charakter des Dargestellten, als die verzerrten Augen des Porträts des unbekannten Mannes in Kopenhagen.

Vergleichbare Unterschiede lassen sich auch sonst feststellen. Ein deutliches Muster lokaler Zuordnungen bestimmter Stilisierungsformen ergibt sich besonders für den Osten nicht. Doch sind Porträts auch exportiert worden, und die daraus resultierende Situation wird sich kaum entwirren lassen. Ihre Komponenten und Voraussetzungen sind aber klar und liefern selbst eine ausreichende historische Information.

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 Traianus Decius
Konstantin d.Gr.
Lang- & Kurzzeittrends
 Porträts der Tetrarchen
Porträts des Diokletian
Porträts des Maximianus Herculius
Porträts des Maxentius
Porträts des Galerius
Porträts des Licinius
Porträts des Maximinus Daia