Naturidylle in Großstadt 4

Reizvolle Ruhe

Das Wäldern, Anhöhen und vor allem Gewässern innewohnende Wesen (numen) konnte man sich in der Antike personifiziert als Naturgottheit vorstellen. Entsprechende Statuen zeigen neben bärtigen Flußgöttern zumeist junge Mädchen, griechisch: nymphai. Diese Nymphen dachte man sich zu mehreren und im Gefolge der mit der Natur verbundenen Gottheiten Pan, Dionysos und Artemis. Als Ensemble bildeten derartige Figuren oftmals die Skulpturenausstattung von Brunnen und Wasseranlagen.

Junge Mädchen, bei denen eine entblößte Brust sichtbar ist, sind ebenfalls als Begleiterinnen der Artemis belegt (Kallimachos, Artemis-Hymnos 213 f.). Das Entblößen der Brust ist bei der ausgestellten sitzenden Nymphe aber anders motiviert. Dadurch, daß sich die Nymphe auf ihren linken Arm stützt, rutscht ihr das locker anliegende Gewand von der Schulter.

Diese Bildformel wird zunächst für Aphrodite verwendet und charakterisiert dann allgemein den Liebreiz weiblicher Figuren. In der übertragenen Bedeutung einer Naturpersoni-fikation verdeutlicht sie vielleicht auch den Liebreiz (amoenitas) der Natur, der bei den Römern z. B. durch das Plätschern des Baches ausgedrückt werden konnte. Das Herabgleiten des Gewandes bezeichnet zudem, ebenso wie die vorgebeugte Haltung mit dem (in diesem Fall allerdings ergänzten) gesenkten Kopf, daß die Nymphe ganz mit sich selbst beschäftigt ist und mit keinem Zuschauer rechnet.

Darin mag für den römischen Betrachter, der in Malerei und Skulptur ein deutliches Interesse für voyeu-ristische Effekte aufbrachte, ein besonderer Reiz gelegen haben.

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