Naturidylle in der Großstadt 5

Urwüchsige Ausgelassenheit

Statuen halbtierischer Naturwesen waren ebenso wie Tierskulpturen beliebte Ausstattungsstücke römischer Horti. Ein prachtvolles Beispiel stellt der Kentaurenkopf aus den Horti Lamiani dar. Kentauren, Zwitterwesen mit menschlichen Oberkörpern und Pferdeleibern, galten in der Antike zunächst als Inbegriff unzivilisierter Wildheit.

Diese Auffassung wurde beispielsweise durch den Mythos von Peirithoos und Hippodameia verbreitet, auf deren Hochzeit die eingeladenen Kentauren in betrunkenem Zustand über die Frauen der gastgebenden Lapithen herfielen. Dieser mythische Kampf gegen die Kentauren wurde seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. mit den historischen Auseinandersetzungen der Griechen gegen die Barbaren parallelisiert.

Auch die Darstellung der Kentauren in heftiger Bewegung mit struppigem Haar und wilder Mimik ist der Barbarenikonographie verwandt. Ihre stark bewegten Gesichtszüge lassen sich zudem vielleicht wie bei Satyrn als Ausdruck dionysischer Berauschtheit deuten. Spätestens seit dem frühen Hellenismus gehören sie nämlich ebenfalls zum Kreis (Thiasos) um Dionysos/Bacchus. Ihre tierische, ungezügelte Wildheit wird dadurch in den dionysischen Bereich von Rausch und Fest übertragen und gewissermaßen domestiziert.

In der römischen Kaiserzeit standen die Kentaurenskulpturen, soweit man die genaue Aufstellung rekonstruieren kann (Oplontis, Albano), paarweise inmitten von Pflanzen im Gartenbereich der römischen Villen und in Sichtachse zu einem Gelageraum. Diese ausgelassene bacchische Atmosphäre kommt auch in ihrer Darstellung zum Ausdruck. Die Kentaurenpaare aus Albano und der Villa Hadriana fungierten als Reittiere für dionysische Eroten und waren mit anderen Figuren des Thiasos (Dionysos, Satyrn) kombiniert.

In Oplontis blickte man durch eine Säulenstellung auf den zentralen Gartenweg, dem sich auf beiden Seiten zwei Kentauren näherten, die Speisen und Getränke mit sich führten. So entsteht für den zu Tisch liegenden Betrachter der Eindruck, auch die wilden Naturwesen kämen auf diesem Anwesen zu einem ausgelassenen Fest zusammen. Wie die Gestaltung des Gesichts betont auch die Aufstellung die ausgelassene Stimmung dionysischer Wildheit.

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